Einzelstrecken-WM 2007, WM-Tagebuch 5/5
Friesinger und Pechstein mit Kampfgeist zu Silber / Weitere Weltrekorde
WM-Tagebuch, Teil 5 von 5 — Sonntag (11. März 2007)
Von Matthias Opatz
Ausgelassen und “in Schale”: DESG-Team vor dem WM-Abschlussbankett.
Der letzte Wettkampftag brachte für die deutschen Eisschnellläufer noch einmal zwei Silbermedaillen, die keinesfalls selbstverständlich waren. Anni Friesinger, die die WM noch vor neun Tagen in Calgary mit Fieber und Gliederschmerzen fast schon abgeschrieben hatte, lief mit Riesen-Kampfgeist über 1000 Meter auf Platz zwei, nur 0,43 Sekunden hinter Weltmeisterin Ireen Wüst (NED, 1:13,83). Bronze gewann Christine Nebitt (Kanada). Judith Hesse (die in 1:15,91 Bestzeit lief) und Pamela Zoellner landeten auf den Plätzen 13 und 18. Über 5000 Meter gewann die Tschechin Martina Sablikova, die in 6:45,61 min Claudia Pechsteins Weltrekord von Olympia auf dieser Bahn um 1,3 Sekunden unterbot. Pechstein lief in einem starken Rennen und 6:50,79 Minuten zu Silber. Hinter Kristina Groves (Kanada) verpasste Daniela Anschütz-Thoms eine Medaille nur knapp. Bei den Männern holten Shani Davis (USA) und das niederländische Männer-Team die letzten Weltmeistertitel. In 1:32,39 min verpasste Davis seinen Weltrekord nur um sieben Hundertstel und verwies Erben Wennemars und Denny Morrisen auf die Plätze. Stefan Heythausen und Samuel Schwarz reihten sich als 13. und 14. ein. Im Teamrennen blieben sowohl die Niederländer (3:37,80) als auch Kanada (3:38,31) unter dem alten Weltrekord, Bronze holte Russland; Deutschland wurde Fünfter.
“Ich habe alles gegeben, und jetzt bin ich total leer”, meinte eine erschöpfte Anni Friesinger nach dem 1000-m-Rennen, “mein Angang war gut, aber die letzte Außenkurve war unheimlich hart. Ich bin aber sehr zufrieden mit Silber, denn nach den Vorzeichen hätte ich ebensogut mit leeren Händen dastehen können.” Bundestrainer Markus Eicher ist sich sicher: “Ohne Annis Krankheit wäre es heute anders ausgegangen. Aber da kann man nichts machen, Silber ist unter diesen Umständen Spitze.” Für die Sprint-Weltmeisterin gibt es jetzt zwei Wochen PR-Termine mit Sponsoren und Förderern, ehe sie sich mit Freund Ids Postma noch zwei Wochen Winterurlaub in Österreich gönnt – sie auf Skiern, Postma auf dem Snowboard.
Claudia Pechstein hatte im direkten Duell über 5000 m gegen die derzeit auf den Langstrecken nicht bezwingbar scheinende Martina Sablikova anzutreten. “Ich wollte mein eigenes Rennen laufen und das ist mir auch ganz gut gelungen”, sagte Pechstein, “ich bin froh, dass die Saison jetzt vorbei ist, und ich bin froh, dass sie so gut ausgegangen ist.” Nicht ganz zufrieden war die durch einen “steifen Hals” gehandicapte Daniela Aschütz-Thoms, die im letzten Paar auf die Zeit von Groves lief, diese aber um 0,64 Sekunden verfehlte. “Naja, ich bin wohl auf vierte und fünfte Plätze abonniert”, meinte Anschütz, der noch eine WM-Medaille auf einer Einzelstrecke fehlt, “aber das ist eben der Sport. Die Mannschaftsmedaille ist auch sehr schön. Und ich habe gezeigt, dass ich ganz vorn dran bin.” Trainer Eicher: “Schade für Schützi, denn Bronze war drin. Sie hat sich leider zu lange an Groenewold orientiert, anstatt ihre eigene Marschroute zu laufen.” Ganz unzufrieden war Katrin Mattscherodt, die ihre aus Erfurt stammende Bestzeit verfehlte und mit 7:11,63 min 15. wurde. Die angestrebten 7:07 hätten für die Top-Ten gereicht. “Auf den letzen Runden ging es mir so schlecht wie noch nie”, meinte Mattscherodt.
Während die Saison für alle deutschen Damen (wie auch Herren) definitiv vorbei ist, hat Weltrekordlerin Sablikova noch nicht genug. “Das Eis war heute nicht so gut wie erhofft, wir wollten noch fünf Sekunden schneller laufen und unter 6:40 bleiben”, sagte Sablikovas Trainer Petr Novak, “dass Martina noch mehr kann, wird sie nächste Woche in Calgary zeigen.” Beim Oval-Finale sind Preisgelder auf neue Rekorde ausgesetzt.
Die 1500 Meter der Männer wurden wie schon die 1000 m eine Beute von Shani Davis. Stefan Heythausen (Bild links, Foto: Manfred Appelt) verbesserte mit 1:45,92 min seine Bestzeit um rund eine Sekunde, was Platz 13 bedeutete, und tastete sich bis auf eine halbe Sekunde an Christian Breuers Deutschen Rekord heran. Für den nach seinem fiebrigen Infekt noch geschwächten Samuel Schwarz reichte es nicht für eine neuen Bestzeit, 1:46,24 bedeuteten Platz 14. Der 23jährige Berliner zog dennoch eine positive Saisonbilanz: “Ich habe mich gegenüber den Vorjahr auf den 1500 m um fünfeinhalb Sekunden gesteigert, ich hatte so viele Erfolgserlebnisse, und dass ich diese WM erleben durfte, war ein schöner Schlusspunkt.” Schwarz will jetzt erst einmal vom kalten Element nichts mehr wissen und begibt sich in wärmeres Wasser: Er will zum Tauchen nach ßgypten.
Stefan Heythausen musste eine gute Stunde nach seinen 1500 Metern noch einmal ran. Mit Robert Lehmann und Tobias Schneider trat er zum Mannschaftrennen an, 3:46,74 bedeuteten Platz fünf, Platz vier wurde nach einem Abreißer Schneiders auf der Zielgeraden um 0,14 Sekunden verfehlt. Damit waren die deutschen Männer zwei Plätze besser als in Turin 2006 und in Inzell 2005, aber immer noch über 5 Sekunden von der Bronzezeit der überraschend starken Russen entfernt. “Wir sind schon sichtbar vorangekommen, aber müssen uns eben noch weiter verbessern”, war das einfache Fazit von Herren-Bundestrainer Bart Schouten zu dieser Konstellation.
“Das war heute unglaublich hart mit den beiden schweren Rennen hintereinander”, meinte Heythausen. Und Tobias Schneider meinte: “Robert Lehmann war heute trotz seiner gestrigen 10 Kilometer noch der frischeste von uns. Ich bin über den Höhepunkt hinaus, habe zudem Probleme mit der dünnen Luft. Ich bin froh, dass jetzt Schluss ist, jetzt hänge ich noch ein wenig Urlaub in den USA dran. Ich will mit einem Freund hier zum Skifahren. Schon in zwei Wochen muss ich zu einem Feldwebel-Lehrgang der Bundeswehr antreten.”
Die Erleichterung, jetzt erst einmal verschnaufen zu können, war bei allen zu spüren. Lucille Opitz meinte: “Die Saison ist für mich nicht ganz glücklich verlaufen, nach meiner 5-km-Bestzeit bereits Mitte Oktober in Inzell kam meine Schnittverletzung, und dann auch noch eine Thrombose. Ich bin so manches Mal unter Schmerzen gelaufen. Aber natürlich bin ich auch unheimlich froh, mit der Mannschaft trotzdem noch eine Medaille gewonnen zu haben.” Die 29jährige Berlinerin holt jetzt ihren Freund in Deutschland ab und kommt nach einer Woche in die USA zurück, um eine Rundreise durch den Westen (Kalifornien, Nevada) zu unternehmen. “Da freue ich mich unheimlich drauf!”
Während der vier WM-Tage gab es auch einige Fans der deutschen Mannschaft. Zum einen waren das deutschstämmige Amerikaner oder Deutsche, die hier wohnen, es sind aber auch einige Fans extra wegen der WM nach Utah gekommen, wie die Berliner Eisschnelläuferinnen Franziska Petereit (JWM-Dritte 2005 im Team) und Ariane Dubiel (DM-Dritte über 100 m) sowie Ex-Eisschnellläuferin Kathi Metzner.
DESG-Teamleiter Helge Jasch zur WM-Bilanz: “Mit vier Medaillen haben wir eine gute Bilanz. Eine noch bessere Bilanz wäre möglich gewesen, hätte nicht zum ungünstigsten Zeitpunkt eine Viruswelle unsere Reihen erwischt.”
Am Montag traten die meisten deutschen Eisschnellläufer via Calgary die Heimreise und den wohlverdienten Urlaub an. Im Sommer, wenn die meisten Deutschen ihren Urlaub verbringen, schwitzen die DESG-Asse bereits wieder in Vorbereitung auf die neue Saison. In der Berlin-Hohenschönhausener Eisschnelllaufhalle wird in dieser Saison erstmals durchgängig ab Anfang Juli Eis zur Verfügung stehen. Frauen-Bundestrainer Markus Eicher: “Wir stellen unser Lehrgangssystem darauf ein, um das möglichst ausgiebig nutzen zu können.” Herren-Bundestrainer Bart Schouten: “Darum habe ich gekämpft, ich hoffe, dass uns das noch mehr voranbringen wird.”