DESG-Olympia-Notizen vom 15. Februar 2006
Kampf und Poker bei Mannschaftsrennen / Endlich Teilerfolg für Shorttracker
Was für ein Tag! Erst der erste Teil der Mannschaftsentscheidung im Eisschnelllauf mit viel Spannung, und dann eine stimmungsvolle Shorttrack-Nacht, die die ersten kleinen Erfolge für die deutschen Starter brachte. Beinahe wären der Eisschnelllauf-Männer-Mannschaft und der Shorttrack-Männer-Staffel sogar eine Sensation geglückt, aber der Reihe nach:
Das Turin “Oval Lingotto” erlebte die erste olympische Mannschaftsentscheidung der Geschichte, und unter den acht für die Winterspiele qualifizierten Mannschaften fanden sich nicht nur die erfolgsgewohnten deutschen Damen (Weltmeister und Weltrekordhalter), sondern erfreuerlicherweise auch die Herren. Das sind, kurzgefasst, die Regeln für den Mannschaftswettkampf:
Bei Mannschaftsrennen (offiziell: team pursuit) treten je zwei Mannschaften gegeneinander an, eine startet auf der Zielgeraden, die andere auf der Gegengeraden. Männer laufen acht Runden (ca. 3100 m), Damen sechs Runden (ca. 2300 m), und zwar in der Regel auf der Innenbahn (zulässig ist aber die gesamte Bahnbreite) ohne Bahnwechsel. Die drei Läufer einer Mannschaft wechseln sich in der Führung ab, so dass jeder in den Vorteil des Windschattenlaufens kommt. Gestoppt wird der vordere Schlittschuh des dritten Läufers, der die Ziellinie erreicht. Die Disziplin gehört seit 2002 zu Junioren-WM, seit 2005 zum WM-Programm und ist ab 2006 olympisch. Während im Weltcup und bei WM die Sieger nur über die Zeit nach einem Lauf ermittelt werden, wird bei Olympia ein Turnier ausgelaufen. Am ersten Tag finden Zeitläufe und das Viertelfinale statt. Dabei wird das Viertelfinale nach den in den Zeitläufen erreichten Zeiten gesetzt wird (1-8, 2-7, 3-6. 4-5). Am zweiten Tag gibt es Halbfinale und Finale (sowie Platzierungsläufe). Im K.o.-System kann man den Gegner entweder durch die bessere Zeit oder vorzeitig durch Einholen bezwingen. Zu einer Mannschaft gehören mindestens drei, aber höchstens fünf Läufer. Drei werden pro Rennen eingesetzt. Alle in einer der Runden des olympischen Turniers eingesetzten Läufer erhalten im Erfolgsfall eine Medaille.
Die Damen liefen im ersten Rennen gegen Kanada mit der Besetzung Daniela Anschütz-Thoms, Sabine Völker (beide gehörten zur Weltmeistermannschaft) und Lucille Opitz. Die fünftbeste Zeit bescherte mit den Niederländern gleich einen Mitfavoriten auf den Olympiasieg als Kontrahenten. Doch Claudia Pechstein, Anni Friesinger und Daniela Anschütz-Thoms lösten die Aufgabe gegen 3000-m-Olympiasiegerin Ireen Wüst, die 3000-m-Silbermedaillengewinnerin Renate Groenewold sowie Paulien van Deutekom mit Bravour und hatten nach 3:01,52 Minuten über 2 Sekunden Vorsprung auf die Niederländerinnen. “Das war riesig, wie die Mädels das bewältigt haben”, schwärmte der verantwortliche Mannschaftstrainer Markus Eicher, “besonders Daniela hat sich ausgezeichnet geschlagen, denn sie war als einzige zweimal auf dem Eis. Und der dritte Läufer ist nun einmal ausschlaggebend für das Team.” Anschütz selbst gestand nach dem Rennen: “Ich bin nur gelaufen und wusste dann gar nicht mehr, wie viele Runden es noch sind. Da hab ich hochgeschaut und erleichtert die 1 gesehen.” Für Anni Friesinger war das Rennen genau die richtige Sache nach der verpassten Medaille im Auftaktrennen: “Die Niederlande waren mein Wunschgegner”, so die Inzellerin, “wir wollten uns unbedingt für die Pleite im 3000-Meter-Rennen revanchieren, und das ist uns auch super gelungen.” Und Claudia Pechstein ergänzte: “Wir sind heute mit soviel Frust und Wut im Bauch gelaufen, dass wir gar nicht verlieren konnten.” Dabei hatte die Berliner in der zweiten Runde sogar ein Schrecksekunde – ein Stolperer, den sie mit Körperbeherrschung abfing. Im Halbfinale am Donnerstag treffen die deutschen Damen auf Russland. Im Fall eines Weiterkommens erwartet das deutsche Team voraussichtlich Kanada, das am Mittwoch in 3:01,24 Olympischen Rekord lief und im anderen Semifinallauf gegen Japan klarer Favorit ist. Der erste Wettkampftag hat aber auch gezeigt, dass es nicht nur darauf ankommt, schnell zu laufen, sondern auch nicht zu stürzen. Das norwegische Trio lag gegen Japan schon auf Halbfinalkurs, als Annette Bjelkevik stürzte und alle Medaillenhoffnungen zerstoben. Im Zeitlauf hatte es zuvor China erwischt.
Die Männer schlugen sich mit Bravour, doch mehr als der Lauf um Platz sieben war diesmal nicht drin. Aus einem auf vier Läufer begrenzten Aufgebot (Christian Breuer hatte bekanntlich wegen Verletzung passen müssen) schafften zunächst Stefan Heythausen, Tobias Schneider und Robert Lehmann im Zeitlauf zunächst die fünftbeste Zeit, was im Viertelfinale Norwegen als Gegner bescherte. “Das ist war auch ein harter Brocken, aber besser als Kanada, Italien oder die Niederlande. Wenn wir überhaupt eine Minimalchance haben, dann gegen Norwegen.” Doch mit Schneider, Heythausen und Jörg Dallmann lief man zwar nochmals eine starke Zeit unter 3:50, doch Norwegen war noch zwei Sekunden schneller als die DESG-Equipe. “Sie hatten einfach zwei frische Leute in der zweiten Besetzung, wir nur einen”, meinte Dallmann am Ende, “vielleicht hat das den Ausschlag gegeben. Jetzt sind wir nur im Verliererlauf und für alle Welt die Deppen. Das ist schon bitter.” Auch Stefan Heythausen war ziemlich niedergeschlagen. “Wir wollten unbedingt die Überraschung schaffen, und dafür haben wir alles gegeben.” Sein “Fanklub”, bestehend aus Eisschnelllauffans aus Kaldenkirchen (Heythausens Heimatort) und Grefrath, ließ sich aber die Stimmung nicht verderben.
Während in der Eisschnelllauf-Halle lediglich beim packenden Kampf der Italiener gegen die USA so etwas wie olympische Hochstimmung auf den Rängen aufkam (Italien konnte nach zwischenzeitlichem Rückstand das hoch gehandelte Team um Chad Hedrick noch aus dem Rennen werfen), gingen die Zuschauer im benachbarten “Palavela” von Anfang bis Ende lautstark mit. Und im ersten Halbfinallauf der Männer-Staffeln lag sogar eine Sensation in der Luft. Das DESG-Quartett traf auf Weltmeister und Olympiasieger Kanada, Weltcupsieger Südkorea sowie Australien. Nach der Papierform war klar, dass sich Südkorea und Kanada nach wenigen Runden absetzen und dann ungefährdet (und daher auch ohne Risiko im Kampf gegeneinander) ins Finale laufen sollten, während sich Deutschland und Australien um Platz drei streiten. Die Deutschen mit Startläufer Tyson Heung liefen forsch los und führten zunächst sogar. Etwa in Runde 5 (von 45) stützte der zu diesem Zeitpunkt noch hinter Deutschland liegende Gold-Favorit Südkorea (ohne Gegnereinwirkung) und hatte plötzlich eine Dreiviertelrunde Rückstand. Auch jetzt erwarteten Fachleute, dass die starken Südkoreaer noch ran- und vorbeilaufen können würden. Doch bis Runde 25 hatten sie gerade mal eine Viertelrunde aufgeholt und lagen noch immer eine halbe Runde Rückstand auf den Zweiten Deutschland (hinter Kanada). “Zu dem Zeitpunkt haben wir geglaubt, dass wir den Vorsprung ins Ziel bringen”, sagte Sebastian Praus nach dem Rennen, “doch da passierte auch Tyson Heung ein Missgeschick. Aber wir sind jetzt nicht sauer auf ihn, das hätte jedem anderen auch passieren können. Das ist eben Shorttrack – erst der Südkoreaner-Sturz und dann unserer.” Pechvogel Heung stand daneben wie ein begossener Pudel und wollte am liebsten weglaufen.
“Ich bin zu weit nach außen gekommen und habe mit dem Schlittschuh die Bandenpolster berührt”, so der Deutschkanadier, “da bin ich gestolpert und konnte mich gerade noch so abfangen.” Dabei hat sich Heung einmal im Kreise gedreht, Tempo verloren und den Wechselrhythmus durcheinander gebracht. Praus: “Das hat uns bestimmt drei, vier Sekunden gekostet.” Am Ende rettete sich Korea noch mit einer guten halben Sekunde vor Deutschland ins Finale, das außerdem Kanada sowie aus dem anderen Lauf China, die USA sowie die (nach Behinderung weiter gesetzten) Italiener ereichten. Da Japan disqualifiziert wurde, laufen mit Deutschland und Australien nur zwei Staffeln um Platz sechs und sieben.
Zuvor hatte es schon deutsche Lichtblicke über 1000 m der Männer gegeben. Während Arian Nachbar das Viertelfinale als Dritter über die Zeitregel erreichte, wurde Sebastian Praus, auf Platz zwei liegend, von einem Konkurrenten behindert und weitergesetzt. Das Viertelfinale findet am Sonnabend statt. Über 500 m der Damen, wo die deutschen Damen bereist im Vorlauf ausgeschieden waren, setzte sich im Endlauf Wang Meng (China) knapp vor Jewgenia Radanowa (Bulgarien) durch. “Ich weiß nicht, ob ich mich mehr über gewonnenes Silber freuen oder verlorenes Gold ärgern soll”, sagte die Weltrekordhalterin, “über 500 Meter ist der Start so wichtig, und beim ersten Start lag ich in der ersten Kurve in Führung. Wenn der Start nicht zurückgepfiffen worden wäre, wäre es vielleicht anders ausgegangen.”