Sommer ohne Urlaub
Bronze war gestern: In Berlin arbeitet das Männer-Team am nächsten Streich
„Nur noch zwei Minuten“, mahnt Bundestrainer Bart Schouten seine Schützlinge, dann sei auch diese eisige Trainingseinheit überstanden. Um nach geschätzten zehn Minuten den Daumen zu erheben. Die letzte Minute beginnt… Zuckerschlecken sieht anders aus, und das mehr als ein Vierteljahr vor den ersten Wettkämpfen. Täglich um 8.30 Uhr begrüßen Schouten und Klaus Ebert die Athleten zum Warmlaufen hinter dem Berliner Velodrom. Dann geht es auf Shorttrack-Runden, am Nachmittag auf die große Bahn von Hohenschönhausen. Zweieinhalb Wochen umfassen die Einheiten, es folgen vier Tage Regeneration, in denen die Medaillen-Gewinner von Nagano (Bronze im Team Pursuit) individuelle Programme durchziehen. Zu einem Ausflug an die Berliner Seen bleibt aber dennoch etwas Zeit.
Der Überraschungs-Coup von Japan und gute Weltcup-Resultate waren der Fingerzeig. Die Männer, lange im Schatten der erfolgreichen Power-Ladies, hatten sich zurückgemeldet. Bewiesen, dass die Vorgabe ihres holländischen Coachs („eine olympische Medaille in Vancouver“) zu realisieren ist. Heute gehören vier Sportler dem A-Kader an. Und sie strotzen vor Ehrgeiz, schwärmen fast unisono von Podestplätzen in den Einzeldisziplinen.
Dabei herrscht gerade Urlaubsstimmung in Berlin. Die Hauptstadt mit ihren vielen grünen Lungen scheint fast ganz in den Händen der Touristen, die mit Digicam und Stadtplan durch die Straßen streifen. Auch Bart Schouten fühlt sich an der Spree mittlerweile pudelwohl. Sohneman Ben (3) besucht dreimal täglich die KITA „und spricht schon besser Deutsch als ich.“ Vor seinem Engagement für die DESG lebte der 40-Jährige zehn Jahre in Amerika. Er nennt sich „Weltbürger“ und jetzt bezeichnet er Deutschland als „meine Heimat“ und schwärmt davon „in zwei Stunden die Ostsee zu erreichen“. Dabei hört er die Wellen ebenso selten rauschen wie seine Schützlinge…
Tobias SchneiderLetzte Woche feierte Tobias Schneider seinen 27. Geburtstag, verteilte Süßigkeiten nach dem Eistraining, aber keine Einladungen zu einer Party – er musste sich auf eine Klausur vorbereiten. Charakteristisch: Obgleich die gute Stimmung im Team allemal für eine Sause taugen würde, steht Professionalität an erster Stelle. Die neuen Anzüge sind eingetroffen. Man trägt künftig Rot statt Blau, aber es gibt noch manches an der zweiten Haut zu verbessern. Neulich fütterte ein Wissenschaftler die Scater mit Informationen über Mensch und Material, konnte am Ende aber den Informationsdurst der akribischen Läufer nicht umfassend stillen. Man hat am Erfolg geschnuppert. Sich „dort oben“ einzunisten, erfordert Optimierungen an allen Ecken und Enden.
Zum Beispiel bei der Vorbereitung. Seit dem 7. Juli bietet die Halle von Hohenschönhausen durchgehend Trainings-Eis bis zum Saisonstart. „Unser Sport besteht nicht nur aus fünf Monaten Wettkampfsaison“, sagt Schouten – und richtet seinen Dank auch an DOSB, Senat und BMI. „Hier wurde wirklich investiert, aber in Calgary, Salt Lake City, Heerenveen und Hamar finden die Athleten die gleichen Bedingungen vor.“
Vor allem die Medaille spielte eine Rolle. „Man erkennt das schon an Kleinigkeiten“, berichtet Stefan Heythausen. „Plötzlich steht der Kraftraum länger zur Verfügung, sind die Eiszeiten variabler.“ Blickt an sich herunter – und meint, jetzt würden die bestellten Schuhe (rot) bestens zum neuen Rennanzug passen. „Auch das Outfit soll stimmen.“
Robert LehmannFür einen kleinen Wermutstropfen sorgte Robert Lehmann. Am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankt, kann sich der Pechvogel der letzten WM nur „volkssportlich“ trimmen, wie Ebert dem Ernst der Situation ein Quantum Humor abringt. Die Mediziner aber sind dem Virus auf der Spur, „nun müssen wir warten, bis die Normwerte wieder stimmen“ (Bart Schouten).
Dafür strotzt Studiosus Schneider vor Tatendrang. Im April hatte sich der Allrounder, im vergangenen Herbst beim Radtraining mit einem Auto kollidiert, einer letzten Reha unterzogen. Nach „einem Jahr Schmerzen“ stimmen die Werte der Leistungsdiagnostik. „Das ist aber auch unser Anspruch: in der Saison vor den Olympischen Spielen.“
Zurück aufs Eis. Die engen Kurven auf der Short Track-Fläche gehen in die Beine. Doch Samuel Schwarz, einer der „Aufsteiger“ des letzten Winters, kann schon wieder lachen. „Klar sind wir hinterher erstmal kaputt“, aber das vermag die Vorfreude auf einen Trip mit der Freundin an den Müritzsee nicht zu beeinträchtigen. Marco Weber nutzt die kurze Freizeit zum family day, Heythausen hofft auf den Besuch seiner Partnerin. Berlin ist ja so schön, die Heimreise nach Grefrath wäre zu stressig. Die Eisschnelllauf-Männer, auch die Sprinter Nico Ihle oder Frank Steiner, verpulvern schon heute keine Energie, die im Winter der (nächsten) Träume fehlten könnte.