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Das Jetzt-oder-nie-Gefühl vor dem Überholen

Author: Redaktion Wednesday, November 2nd, 2005 No Commented Under: Eisschnelllauf

Shorttrackerin Yvonne Kunze im Gespräch

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Olympiastützpunkts Bayern, für dessen Zeitschrift “OSP-Report” das Gespräch entstand (leicht bearbeitete Fassung).

Yvonne KunzeSie ist die beste Deutsche in einem sonst wenig beachteten Sport. Yvonne Kunze liefert sich im Shorttrack rassige Duelle auf engem Eis-Oval. Vor der entscheidenden Qualifikation für die Olympischen Spiele 2006 in Turin gab uns die 28jährige einige Einblicke in eine durchaus faszinierende Sportart.

Hallo Yvonne, zunächst danke, dass Du Zeit für uns hast. Und gleich eine generelle Frage: Du bist von Dresden nach München gewechselt, gab es besondere Gründe für diesen Wechsel?

Ich wollte unbedingt weg von Dresden, weil ich mir nach zwölf Jahren neue Reize setzen wollte, da bot sich München als Shorttrack-Stützpunkt an. Wenn es in der vorolympischen Saison in München nicht geklappt hätte, hätte ich die olympische Saison wieder im “altbewährten” Umfeld bestreiten können. Außerdem arbeitet in München Markus Tröger, der als Junioren-Bundestrainer sowieso immer bei den Lehrgängen und Wettkämpfen dabei war und mit dem ich positive Erfahrungen gemacht habe. Dann habe ich ihn einfach gefragt, ob ich nach München kommen kann. Dort gibt es eben eine kleine, aber erlesene Trainingsgruppe mit Nationalmannschaftsmitgliedern oder JWM-Kadern. Die Entscheidung war aber rein sportlich.

War München gegenüber Dresden ein Kulturschock?

Nein, ich bin ja schon seit 1996 in Bad Endorf auf der Bundespolizeisportschule; Bayerisch ist da nichts Neues mehr. Als ich dort hinkam, haben die uns gleich gesagt: Euer Sächsisch könnt ihr daheim lassen, hier wird bayerisch gesprochen. Ich verstehe mich zum Beispiel mit Martina Glagow sehr gut.

Was schätzt Du abseits vom Sport an München?

Man hat Berge und Seen fast direkt vor der Haustür. Und trotzdem eine Großstadt in der Nähe, die mir aber manchmal zu hektisch und zu groß ist. Ich brauche auch nicht unbedingt eine Disco mit 4000 Leuten oder eine vierspurige Straße in der Stadt.

Unsere letzten Interviewpartner waren den leiblichen Genüssen durchaus zugeneigt. Bist Du auch so ein Exot?

Eigentlich nicht, ich bin vor allem auf den Sport fixiert. In der Sommerpause lass ich’s auch mal krachen, aber im Winter verfolge ich meine sportlichen Ziele.

Also, als Anni Friesinger des Shorttracks kann man Dich wohl nicht bezeichnen?

Nein, glaube ich nicht, die hat mir auch einige Erfolge voraus.

Du startest trotzdem weiter für den EV Dresden. Warum?

Ich habe das Schlittschuhlaufen in Dresden gelernt und wollte dem Verein, der mich quasi großgemacht hat, in den letzten Zügen meiner Karriere nicht in den Rücken fallen.

Letzte Züge? Du bist Jahrgang 1978!

Ich habe schon zwei olympische Zyklen mitgemacht, jetzt den dritten, irgendwann sollte man ans Aufhören denken. Ich habe schon mit vier Jahren mit Eiskunstlauf angefangen, mache also jetzt Leistungssport, seit ich fünf oder sechs Jahre alt war. Irgendwann reicht’s dann auch.

Du hast also mit Eiskunstlauf angefangen. Aus Spaß?

Ja, ich war früher beim Ballett und wollte dann unbedingt eiskunstlaufen, aber mit vier Jahren war ich eigentlich schon zu alt für die Einsteigerklasse, man sollte damals mit drei Jahren anfangen. Dann habe ich mich wohl aber ganz gut angestellt und durfte in die höhere Gruppe einsteigen. Nur für die Sprünge hatte ich einfach zuwenig Kraft. Dann sagte man mir, die meisten Eiskunstläufer würden irgendwann mal zum Eisschnellauf gehen, das habe ich dann auch gemacht. Und dadurch, dass ich schon recht gut schlittschuhlaufen konnte, hatte ich natürlich Vorteile. Nur bei schlechtem Wetter hatte ich keine Chance. Auf den offenen Bahnen hat mich der Wind immer von der Bahn geweht. Und schließlich hat mich der jetzige Cheftrainer Jürgen Dennhardt angesprochen und gefragt ob ich nicht zum Shorttrack will. Als ich mir dann 1992 die Deutsche Meisterschaft angesehen habe, dachte ich: Das ist überhaupt nichts für mich, dieses Gedrängel und die Stürze. Einen Monat später hat mich Herr Dennhard aber nochmals angesprochen, weil er für einen Wettkampf unbedingt jemanden brauchte. Und im endgültigen Auslaufen, gegen eine, die schon Shorttrack trainierte, habe ich gewonnen und bin meinen ersten Wettkampf gelaufen. Leider bin ich gestürzt und habe mir mit dem Schlittschuh in den Fuß geschnitten, Da dachte ich mir: Shorttrack muss doch auch ohne Verletzung funktionieren. Und den nächsten Wettkampf habe ich dann gleich gewonnen. 1994 war ich dann schon im JWM-Kader und langsam hat’s mir dann auch Spaß gemacht, wegen der Taktik und weil man nicht nur gegen die Uhr laufen muss.

War Dein Weg zum Shorttrack typisch?

Der Eiskunstlauf hat schon enorm geholfen, man kann besser reagieren, hat mehr Kantengefühl. Es gibt bei uns auch viele ehemalige Eiskunstläufer, aber auch ehemalige Eishockeyspielerinnen.

Gibt es vom Körperbau her einen typischen Shorttracker?

Naja, meine Statur hat sicher Vorteile. Es gibt aber auch z. B. Kanadier, die sind wesentlich größer, müssen aber auch eine ganz eigene Kurventechnik entwickeln.

Eigentlich seid ihr vom Shorttrack ganz lustige Typen, Euch würde man die Aggressivität im Wettkampf auf den ersten Blick gar nicht abnehmen. Könnt Ihr da Sportler und Privatmensch trennen? Wird das geschult?

Nein, das entwickelt man selber. Man spürt dieses Jetzt-oder-nie-Gefühl vor dem Überholen, auch wenn man mal disqualifiziert wird. Nur so sammelt man die nötige Erfahrung. Beim nächsten Mal klappt’s dann. Aber das ist ein schmaler Grat: Wenn ich z. B. gegenüber einer Konkurrentin außen bin, darf ich mich leicht auf die andere drauflehnen, wenn ich innen bin, muss ich bremsen. Im Leben bin ich natürlich nicht so aggressiv.

Yvonne KunzeDie Entscheidung über eine Disqualifikation liegt ja auch irgendwo im Ermessensspielraum eines Schiedsrichters. Muss man sich da mit dem Schiedsrichter gutstellen, um bei strittigen Entscheidungen nicht benachteiligt zu werden?

Nicht unbedingt, aber bei “engen” Entscheidungen ist es schon teilweise entscheidend, für welches Land Du startest. Koreaner werden zum Beispiel sehr oft disqualifiziert, bei einem Kanadier würde man einiges vielleicht noch durchgehen lassen. Aber wir als Läuferinnen selbst haben da gar keinen Einfluss.

Warum ausgerechnet die Koreaner?

Vielleicht sind die den Schiedsrichtern zu erfolgreich.

Also, über solche Ungerechtigkeiten ärgerst Du Dich schon, oder?

Klar, wenn man z. B. in Führung liegt und fällt auf die Schnauze, weil dich ein anderer gerammt hat und der wird dann disqualifiziert, nützt Dir das in einem Finale gar nichts. Du bist trotzdem gestürzt und dein Platz 2 oder 3 ist weg.

Beschreibe bitte in drei Worten, was Dich an Deinem Sport fasziniert!

Taktik, Geschwindigkeit und Kampf

Beschreibe bitte in 3 Worten, was Dich an Deinem Sport stört!

Verletzungsrisiko, Unfairness, unverschuldete Stürze.

Zum Standort München: Shorttrack hat sich hier ja inzwischen enorm entwickelt. Wie beurteilst Du den Standort München und was könnte besser sein?

Die Zusammenarbeit mit dem Olympiastützpunkt Bayern funktioniert sehr gut. Die Eiszeiten sind zwar eigentlich ausreichend, aber momentan müssen wir unsere Trainingszeiten mit dem :Nachwuchs teilen. Dadurch, dass wir momentan viel schneller laufen können, ist das Verletzungsrisiko beim gemeinsamen Training relativ groß. Deshalb wäre es besser, wenn das getrennt wäre, dass also z. B. die “Kleinen” und wir eigene Eiszeiten hätten. Andererseits ist es für die Kleinen gut, wenn sie uns als Vorbilder dabei haben, die ihnen den einen oder anderen Tip geben können.

Bringt die Konzentration von starken Sportlern in München was?

Sicher, man kann qualitativ höher und mehr trainieren. Wenn man nicht alleine ist, schafft man mehrere qualitativ hochwertige Abschnitte.

Der Kampf Mann gegen Mann auf relativ überschaubarer Fläche sollte doch eigentlich medien- und zuschauerattraktiv sein. Warum trotzdem dieses Randsportart-Dasein hier in Deutschland?

Nicht nur in Deutschland, eigentlich in ganz Europa.

Und wo ist die Sportart richtig beliebt?

Asien, Korea, Kanada. In Kanada haben wir volle Hallen und in Korea hat die Nationalmannschaft einen Status wie eine Boygroup. Als wir zuletzt in Korea waren, hingen die Mädels kreischend mit ihren Photohandys in vier Reihen da, um bei ihren Jungs zu sein, auch wenn sie nichts gesehen haben.

Was fehlt in Deutschland?

Der einschneidende Erfolg, z. B. ein Olympiasieg, mit dem man die Leute anziehen kann. Außerdem sind wir irgendwie so eine Art kleine Schwester des Eisschnelllaufs. Die hatten und haben große Erfolge, deswegen ist das Ganze hier viel populärer.

Aber in den letzten Jahren hat sich hier ja doch Einiges getan.

Ja schon, aber wenn Du irgend jemandem erzählst, dass Du Leistungssport machst und Shorttrack erwähnst, wirst Du immer noch ständig gefragt: Was ist das denn? Die Sportart war schon 1988 Vorführsportart und ist seit 1992 olympisch und trotzdem kennen so viele den Sport überhaupt nicht. Und wenn ich dann erzähle, dass ich schon zweimal bei Olympischen Spielen im Shorttrack angetreten bin, fragen die: “Shorttrack? Ist das überhaupt olympisch? Und im Fernsehen kommt noch nicht mal bei Olympische Spielen was. Beim Eisschnelllauf wird auch ein 7. oder 8. Platz übertragen.

Jetzt fährst Du also zu Deinen dritten Olympischen Spielen …

Na erst muss ich mich mal qualifizieren.

Das hoffen wir doch schwer, aber worauf wir hinauswollen: Wie geht’s beruflich weiter? Momentan bist Du in Bad Endorf bei der Bundespolizei als Polizeiobermeisterin. War diese Absicherung, so professionell Sport treiben zu können, auch ein Grund, diesen Weg auch nach der aktiven Laufbahn weiter zu beschreiten?

Wenn ich dort nicht hätte hingehen können, wäre meine Karriere bereits beendet. Acht Stunden arbeiten und danach noch trainieren, das geht auf die Dauer nicht. Aber diese Chance, die mir der damalige BGS gegeben hat, werde ich auf jeden Fall auch nach meiner Karriere weiter nutzen.

Also bleibst Du bei der Bundespolizei und wirst, da Du ja Abitur hast, die höhere Laufbahn einschlagen? In welcher Richtung?

Jetzt habe ich gerade ein Praktikum im Präsidium gemacht und die haben sich gewundert, dass ich trotz der Arbeit noch so motiviert zum Training gegangen bin. Das Praktikum war im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und genau das ist mein Feld. Ich habe auf dem Gymnasium Deutsch-Leistungskurs gehabt und auch schon Artikel verfasst. Wenn ich in dem Bereich etwas kriegen würde, wäre das toll!

Zu den Olympischen Spielen in Turin: Was ist dort Deine Zielsetzung?

Hinfahren! Erstmal qualifizieren, dann kann ich über Platzierungen reden. Es gibt demnächst zwei Weltcups in Bormio und Den Haag. Aus der Summe beider Wettkämpfe errechnen sich die Startplätze der jeweiligen Länder. Davon hängt alles ab. Da kann man eigentlich nicht einen der beiden Wettkämpfe in den Sand setzen. Deswegen ist die Qualifikation mein erstes Ziel. Am Sichersten, gleich unter die ersten 16 kommen und die NOK-Norm erfüllen. Wenn sich unsere Staffel qualifiziert, wären automatisch gleich fünf Leute dabei, das wäre natürlich am Besten.

Gibt es in der Staffel auch so eine Art “Zickenduell”?

Nein, auf dem Eis sicher nicht. Da arbeiten wir zusammen.

Zum Schluss: Gibt es sonst noch etwas, was Du loswerden willst?

Ja. Shorttrack ist eine so interessante Sportart, dass sich die Leute aus der Wirtschaft doch mal überlegen sollten, ob sie nicht vielleicht mal ein paar Euro für uns übrig haben. Für uns ist es sehr schwer, Sponsoren zu finden, weil uns eben die Medienpräsenz fehlt. Also bitte einfach mal darüber nachdenken, ob Shorttrack es nicht doch wert wäre, ein wenig zu investieren.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft! Übrigens: Sollte in Bayern für die Einwanderer mal ein Sprachkurs Bayerisch verlangt werden, hast Du gute Karten!

Fotos: DESG (Teunis Versluis), privat

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