Claudia Pechstein: Träumen erlaubt
Seit einigen Monaten dreht Claudia Pechstein ihre Eisrunden mit einer norwegischen Trainingsgruppe nahe Oslo. Die 35-jährige Berlinerin, erfolg-reichste deutsche Winter-Olympionikin aller Zeiten (fünfmal Gold) erzählt im Interview von ihrem Sportler-Alltag in neuer Umgebung.
Hei, Claudia! Wie steht”s um die Norwegisch-Vokabeln?
Claudia Pechstein: God dag. Sie sehen, nahezu perfekt. Schließlich habe ich hier nichts anderes zu tun, als mir mit Pauken die Zeit zu vertreibenâ?¦ Nein, nein. Spaß bei Seite, es ist eher anders herum. Das Trainingspensum ist sehr intensiv, so dass mir nicht wirklich Zeit bleibt, mich um mein Norwegisch zu kümmern. Aber da wir einen amerikanischen Trainer haben, wird sowieso eher englisch gesprochen.
Wie funktioniert die Verständigung im Team und mit den Trainern?
Claudia Pechstein: Also mein Englisch ist wirklich besser geworden. Das ist aber auch nötig. Schließlich muss man sich bei so vielen Männern schon zu wehren wissen. A-ber Maren Haugli (Anm. norwegische Spitzenläuferin) und ich haben das ganz gut im Griff. Wir sind mit Spaß bei der Sache, arbeiten im Training trotzdem hart und konzentriert.
Wie und wo leben Sie in Oslo?
Claudia Pechstein: Wenn wir mehrere Tage am Stück direkt in Oslo trainieren, teile ich mir mit Ma-ren ein Zimmer im Olympiatoppen, dem Olympiastützpunkt der Stadt. Das Zimmer hat etwas von einer Jugendherberge, aber das ist nicht entscheidend. Die Trainingsbedingungen und die Physio sind top, und das ist es, worauf es ankommt. Wenn wir mal ein bisschen ausspannen können oder für die Konditi-onierung eigenverantwortlich arbeiten, wohne ich rund 70 Kilometer außerhalb von Oslo. Auch bei Maren, wir verstehen uns wirklich gut, sie war auch zwi-schendurch schon zum Gegenbesuch bei mir und meinem Mann Marcus zu Gast.
Sind die Trainingsbedingungen mit denen in der deutschen Mannschaft vergleichbar?
Claudia Pechstein: Welche deutsche Mannschaft? Bei uns trainierte in der Vergangenheit doch jeder für sich an seinem Stützpunkt. Ich war schon seit Jahren selbst dafür verantwortlich, mir ein vernünftiges Trainingsumfeld zu gestalten. Entweder wurde ich dankenswerter Weise von einigen Junioren im Training unterstützt oder musste international gestandene Trainingspartner durch eigenen finanziellen Aufwand nach Berlin locken. Von daher ist die jetzige Situation ” mit so vielen leistungsstarken Männern zu trainieren ” für mich völlig ungewohnt. Ich hoffe, ich kann davon so profitieren, wie ich mir das vorgestellt habe. Aber es war ja letztlich der einzig machbare Schritt. Nach dem Rücktritt meines Trainer Joa-chim Franke gab es nur zwei Möglichkeiten. Ebenfalls aufzuhören oder mal was ganz Neues zu probieren. Da habe ich mir gedacht, du hast alle Farben im Schrank, hast doch nichts zu verlieren. Zum Glück bin ich dann mit meinen ß-berlegungen bei meinem Arbeitgeber, der Bundespolizei, auf offene Ohren ge-stoßen. Dafür vielen Dank. Und auch die DESG unterstützt mich im Rahmen ihrer Möglichkeiten so gut es geht. Wenn ich ein paar Tage in Berlin weile, kann ich sogar bei den Männern von Bundestrainer Bart Schouten mittrainieren. Das ist wirklich hilfreich.
Zuletzt drehten Sie mit den Norwegern Ihre Runden in Salt Lake City. Wie geht”s bis zur Deutschen Meisterschaft in Erfurt Ende Oktober weiter?
Claudia Pechstein: Jetzt ist erstmal aktive Erholung angesagt. Am Sonnabend reise ich in den “Club der Besten”. Deutschlands Spitzenathleten der zurückliegenden Saison einzuladen ist eine tolle Sache vom Robinson Club. Der Besuch dort gehört mittlerweile Jahr für Jahr zu meinem Programm. Macht den Kopf frei, bringt Abwechslung und man kann trotzdem etwas für die Fitness tun. Sportlerherz, was willst Du mehr? Die erste Hälfte des Oktobers trainieren wir anschließend in Hamar auf dem Eis. Dann komme ich noch mal zwei Tage nach Hause zum Koffer packen, ehe es für mich mit dem norwegischen Team bereits am 19. Ok-tober nach Salt Lake City geht. Da dort drei Wochen später der Weltcupauftakt steigt, macht es für mich wenig Sinn, zwischendurch nach Deutschland zurück-zukehren. Die DM wird diesmal also ohne mich stattfinden.
Deutet die Formkurve wenige Wochen vor dem Saisonstart schon nach oben?
Claudia Pechstein: Zuletzt war ich in Oslo ziemlich breit. Aber ich denke, das ist in einem so langen Trainingszeitraum durchaus nichts Ungewöhnliches. Ich lasse mich dadurch nicht verrückt machen. Mit meinem 3000-Meter-Test im August in Salt Lake war ich sehr zufrieden. Mal sehen, was die Saison so bringt.
Haben Sie noch regelmäßig Kontakt mit Ihrem früheren Trainer Joachim Franke?
Claudia Pechstein: Das ist sicherlich eine rhetorische Frage, oder? Na klar, was denken Sie denn! Wir sind in den vergangenen 16 Jahren gemeinsam durch dick und dünn ge-gangen. Ohne meinen Coach wäre meine erfolgreiche Laubahn überhaupt nicht möglich gewesen. Da ist es doch selbstverständlich, dass man sich noch re-gelmäßig austauscht. Ich finde es einfach beruhigend, wenn er sich auch jetzt von meinen Werten und meiner Form ein Bild macht. Und ich habe nicht das Gefühl, dass er zurzeit einen unzufriedenen Eindruck macht.
Berlin sollte eine Reise wert sein im Februar. Was haben Sie sich für die Allround-WM in der Heimatstadt vorgenommen?
Claudia Pechstein: Meine Familie zu drücken, Freunde zu treffen und zwischendurch Eis zu laufen. Möglichst schnell natürlich, das ist klar. Aber jeder weiß, dass der Mehrkampf nicht unbedingt mein Ding ist. Ein gutes Sprintergebnis ist da fast die halbe Mie-te. Und dass ich auf meine alten Tage plötzlich noch zur Rakete werde, das ist nicht machbar. Andererseits habe ich bis auf die WM in der vergangenen Sai-son immer eine Medaille gemacht. Und ein bisschen träumen wird ja erlaubt sein, vor allem in der eigenen Stadt!
Takk, Claudia!