Olympiavorschau – Shorttrack
Shorttracker mit Tatendrang nach Turin
“Mal ein Olympiafinale erreichen, das wär schon ein Traum”, meinte Yvonne Kunze bei der Präsentation der deutschen Shorttrack-Olympiamannschaft in Dresden. Die 28jährige erlebt ihre dritten Olympischen Spiele “Im Shorttrack ist alles möglich, aber im normalen Erwatungsbereich liegt so mein Ergebnis nicht”, sagt Cheftrainer Jürgen Dennhardt, “am ehesten ist das noch im Staffelrennen der Damen möglich, aber auch das müssten die Mädels über sich hinauswachsen, aber das zu wollen ist ja schon eine gesunde Einstellung.”
Mindestziele für die Staffel sind die ersten sechs, für die Einzelstarter das Erreichen des Viertelfinales (Top-16) bzw. über 1500 m des Halbfinales. Alle Shorttracker stehen hinter diesen Zielen, hier und da war auch ein klares Bekenntnis zu Zielen wie B-Finale und Top-Ten zu hören – angesichts des internationalen Kräfteverhältnisses sehr schwere, aber nicht völlig unlösbare Aufgaben. “Vor allem wäre es toll, wenn wir durch gute Ergebnisse den Stellenwert unserer Sportart in der ßffebtlichkeit verbessern helfen könnten”, sagt Christin Priebst (22), die in Salt Lake City als 8. über 1500 Meter für das bisher beste olympische Shorttrack-Ergebnisse der DESG gesorgt hatte. Zwar gehören die deutschen Shorttracker zur europäischen Spitze, Europa läuft aber international in der zweiten Liga, den Ton geben Südkoreaner, Chinesen, Kanadier und US-Amerikaner an.
Doch die Deutschen wollen nicht in Ehrfurcht erstarren. “Für mich sind die Einzelstarts genauso wichtig wie die Staffel, und gehe ich in jedens rennen mit dem Ziel Weiterkommen, gegen wen auch immer”, sagt Sebastian Praus. Für den 25jährigen gebürtigen Sachsen, der für Mainz startet, sind es die ersten Winterspiele, für seinen Kollegen Arian Nachbar aus Rostock die dritten. “Es sind auch die letzten und es sollen die besten werden”, sagt Nachbar. Der Routinier im deutsche Team (29 Jahre) will auf Anraten seiner Ärztenach dieser Saison aufhören, “aber bis dahin gebe ich nochmal alles.” Nachbar hat gute Erinnerung an die Turiner Olympia-Arena: Bei den EM im Vorjahr in Turin wurde er Europameister mit der Staffel und Vizeeuropameister im Mehrkampf – mit einem Streckensieg über 1500 m.
Die diesjährigen Europameisterschaften (20. bis 22. Januar in Krynica-Zdroj) sind für die Schützlinge von Jürgen Dennhardt und seinem Co-Trainer Markus Tröger nur eine Durchgangsstation zu den Winterspielen.”Wir bestreiten die EM mit dem Olymoiaaufgebot, und unser Trainiung ist voll auf die Winterspiele ausgerichtet”, sagt Dennhardt. Auch Kunze wollte die EM-Erwartungen eher dämpfen. “Für eine ganze Reihe von Läufern und Nationen, die nicht für Olympia qualifiziert sind, ist dies der Höhepunkt, und sie werden topfit und hochmotiviert dort antreten”, sagt Kunze.
Für Tyson Heung (EV Dresden) werden die EM ersten internationalen Meisterschaften für Deutschland. Der in Kanada aufgewachsene 26jährige mit doppelter Staatsbürgerschaft war zum Jahreswechsel 2004/05 nach Dresden gekommen. “Konkurrenz belebt das Geschäft und hebt das Trainingsniveau, was bei unserer dünnen Läuferdecke sehr wichtig ist. Für die Staffel ist er eine klare Verstärkung”, sagt der Chefcoach. Über einen möglichen Einzelstart in Turin – und das betrifft alle Startplätze – will er erst nach einem letzten internen Wettkampf Anfang Februar in Oberstdorf entscheiden, wo das Team nach den EM noch einmal bis zum 4. Februar zum Trainingslager einrückt. Am 8. Februar wollen die deutschen Shorttracker im Olympischen Dorf einziehen.
Was ist Shorttrack überhaupt?
Manchmal heißt es: Eisschnellauf auf kurzen Bahnen. Das stimmt einerseits (und gibt der Sportart den Namen) – ist aber andererseits auch ziemlich irreführend. Denn andererseits ist Shorttrack eine komplett andere Sportart. Hier das wichtigste:
Shorttrack ist eine olympische Sportart und Disziplin des Eislaufs, ausgetragen auf einer 111 Meter langen ovalen Bahn (in der Regel auf einem Eishockeyfeld), bei der über mehrere Runden im K.-o.-System der Sieger ermittelt wird. Die Bezeichnung Shorttrack (Kurzbahn) bezieht sich auf die Bahnlänge (die im klassischen Eisschnelllauf in der Regel 400 Meter beträgt). Ausschlaggebend ist – im Unterschied zum verwandten Eisschnelllauf – nicht die erzielte Zeit, sondern ausschließlich die Platzierung. Pro Lauf starten vier bis acht Läufer (auf kürzeren Strecken weniger, auf längeren mehr), von denen zwei bis drei die nächste Runde erreichen. Massenstart und Laufen im Pulk (Packstyle) stellen besondere Anforderungen an das taktische Verhalten der Läufer, die engen Kurvenradien erzwingen eine gegenüber dem klassischen Eisschnelllauf wesentlich andere Lauftechnik und Ausrüstung.
Es gibt verschiedenen Disziplinen:
- Der Mehrkampf (Overall) besteht aus Rennen über 1500 Meter (13 1/2 Runden), 500 Meter (4 1/2 Runden), 1000 Meter (9 Runden) sowie 3000 Meter (27 Runden), die in dieser Reihenfolge (meist an zwei bis drei Tagen) ausgetragen werden. Die ersten drei Strecken werden mit allen Teilnehmern vom Vorlauf bis zum Endlauf ausgetragen, über 3000 Meter gibt es nur ein Rennen mit den sechs bis acht Bestplatzierten nach drei Strecken. Mehrkampfmeister werden bei WM, EM und nationalen Meisterschaften ermittelt.
- Im Staffellauf (Relay) bestreiten aus je vier Läufern bestehende Mannschaften Rennen über 3000 Meter (Frauen) bzw. 5000 Meter (Männer). Es wird laufend gewechselt, die jeweils nicht im Einsatz befindlichen Läufer halten sich innerhalb des 111-Meter-Ovals auf. Staffelmeister werden bei Olympischen Winterspielen, WM, EM und nationalen Meisterschaften ermittelt.
- Die üblicherweise ausgetragenen Einzelentscheidungen sind 500 Meter, 1000 Meter und 1500 Meter. Die Austragung kann sowohl separat als auch im Rahmen eines Mehrkampfes erfolgen. Einzelsieger werden bei Olympischen Winterspielen, WM und einigen nationalen Meisterschaften ermittelt.
Hinweis: Bei Nachwuchswettkämpfen sowie nicht von der ISU registrierten Wettbewerben sind auch andere Streckenlängen üblich.
Vom internationalen Dachverband ISU (International Skating Union) werden jährlich Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und eine Serie von meist sechs Weltcups ausgetragen. Die ISU registriert Weltrekorde über 500, 1000, 1500 und 3000 Meter sowie im Staffellauf. Shorttrack gehört seit 1988 (Demo, offiziell 1992) zum Programm der Olympischen Winterspiele.
Historisches
Geschichte: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts fanden Wettläufe in Nordamerika und Großbritannien auf Eishockeyfeldern (meist mangels natürlicher Eisflächen) statt. Internationale Meisterschaften wurden zwar seit Anfang des 20. Jahrhunderts auf genormten Eisbahnen und mit getrennten Bahnen für die Läufer abgehalten, daneben existierten aber viele andere Wettkampfformen in verschiedenen Wettkampfstätten, darunter auch auf Eishockeyfeldern und im Pulkstil. Das für die spätere Abtrennung von Shorttrack entscheidende Ereignis könnten die Olympischen Winterspiele 1932 in Lake Placid gewesen sein, als die Gastgeber Pulkstil und K.-o.-System durchsetzten. In Lake Placid gingen einige europäische Mitfavoriten buchstäblich baden – sie wurden in eine für sie ungewohnte andere Sportart hineinversetzt. Die ersten offiziellen ISU-Meisterschaften im Shorttrack gab es aber erst 1978 in Solihull (Großbritannien), die seitdem jährlich ausgetragen werden und seit 1981 die Bezeichnung Weltmeisterschaften tragen. Bei der Olympia-Premiere 1988 (Demonstration) überzeugten die Shorttracker Zuschauer und IOC von der Attraktivität ihrer Sportart.
Entwicklung in Deutschland: In den 80er Jahren erwarben sich die Mannheimer Karl Hager und Gundi Gramminger (Pawasserat) Verdienste um die Etablierung der für Deutschland neuen Sportart, die aber bis Anfang der 90er Jahre lupenreiner Amateursport war. Ab 1994 unternahm die DESG Anstrengungen zur leistungsportlichen Entwicklung. Susanne Busch (Erfurt), Yvonne Kunze (Dresden) und Arian Nachbar (Rostock) prägten den Aufschwung des deutschen Shorttrack in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, die mit EM-Bronze 1998 und der ersten Olympia-Teilnahme ihre ersten Höhepunkte hatte. Seitdem konnten die deutschen Shorttracker zur europäischen Spitze aufschließen und den Abstand zur Weltspitze verringern, ohne jedoch das Niveau der führenden Asiaten und Nordamerikaner zu erreichen. Achtungserfolge waren mehrere Endlaufteilnahmen und Medaillenplätze in Weltcups der zurückliegenden drei Jahre.
Noch mehr Wissenswertes über Shorttrack
Triftende Bahn. Im Shorttrack gibt es eine sogenannte triftende Bahn. Beide Kurvenradien sind auf dem Eis genau fünfmal, jeweils etwas versetzt, markiert. Nach jedem Rennen werden die Begrenzungsblocks auf einen anderen Radius gelegt. Die Bahnlänge bleibt dabei immer gleich, d. h. wenn auf der einen Seite z. B. der innerste Kurvenradius gilt, ist es auf der gegenüberliegenden Seite der äußerste. Hintergrund dieser regel ist die enorme Beanspruchung des Eises durch die Läuferkufen (hoher Druck durch Fliehkraft bei bis 50 km/h) besonders in den Kurven. Durch die Bahntrift findet die Beanspruchung nicht immer an der gleichen Stelle des Eises statt.
Ist Shorttrack Glückssache? Im Regelwerk gibt es verschiedene Behinderungen, die mit Disqualifikation geahndet werden. In der Praxis haben die Schiedsrichter einen Ermessensspielraum. Das führt zuweilen zu umstrittenen Entscheidungen. Das und die beim Shorttrack immer wieder vorkommenden Stürze führen mitunter – aus Sicht des Zuschauers – zum Zweifel an der “Gerechtigkeit” der Sportart. Die Erfahrung der Shorttrack-Geschichte besagt aber, dass sich dennoch immer wieder die besten Sportler durchsetzen und wirkliche Außenseitersiege (wie der des Australiers Steven Bradbury in Salt Lake City) sehr selten sind. Die Gunst des Augenblicks (Ansetzung, Stürze oder unvorhergesehene Situationen) und wie ein Läufer sie nutzen kann, ist aber sehr sehr wohl Bestandteil der Shorttrack-Philosophie.
Weitersetzen. Im Shorttrack erreichen mindestens die ersten beiden Läufer eines Laufes (außer Finale) die nächste Runde, manchmal – je nach Ausschreibung – auch drei. Wird jedoch ein Läufer in einer aussichtsreichen Position durch einen anderen behindert und damit um seine Chance auf das Weiterkommen gebracht, kann ein solcher Läufer auch durch Schiedsrichter-Entscheid weitergesetzt werden, unabhängig vom belegten Platz (der Läufer muss aber das Ziel erreicht haben). In der Shorttrack-Fachsprache spricht man von “advanced” (engl. bevorteilt – als Ausgleich für eine erlittene Benachteiligung).
Kein Protest. Gegen Entscheidungen der Schiedsrichter ist kein Protest möglich, jedenfalls nicht während des Wettkampfs. Der Wettkampf geht weiter, ohne dass ein durch eine Schiedsrichterentscheidung möglicherweise zu Unrecht ausgeschlossener Läufer weiter daran teilnehmen kann. Das ist hart für den Läufer, ist aber im Modus eines Shorttrack-Wettkampf zu begründen. Innerhalb einer begrenzten Zeit von wenigen Stunden wird ein Wettkampf von den Vorläufen bis zur Entscheidung geführt. Verzögerungen des Ablaufs sind daher auf wenige Fälle beschränkt (beispielsweise darf das Kampfgericht seit 2002 nach strittigen Szenen die Videoaufzeichnung ansehen). Diskussionen, Verhandlungen und Abstimmungen über Proteste sind in den kurzen Pausen zwischen den Rennen nicht möglich, weil der Wettkampf sonst nicht planmäßig zu Ende geführt werden kann.
Ausrüstung. Zur Ausrüstung eines Shorttrackers gehören Spezialschlittschuhe, Laufanzug (ggf. schnittresistente Textilien), Halsschutz, Helm, Handschuhe. Die Handschuhe haben an den Fingern spezielle Auflagen, mit denen sich die Läufer in der Kufe aufstützen. Die Schlittschuhe haben wegen der engen Kurven schräg am Fuß angebrachte Kufen, die zudem selbst einen Radius aufweisen (sogenannte Banane).
Einige Fachbegiffe englisch – deutsch
advanced = Weitersetzen (durch Schiedsrichterentscheid)
assistance = (unzulässige) Hilfestellung
collision = (absichtlicher) Zusammenstoß
crosstracking = Kreuzen (der Laufbahn eines anderen Läufers mit Behinderung)
final points = Endlaufpunkte (in Finallläufen erzielte Punktzahl)
heat = im engern Sinne: Vorlauf; im weiteren Sinne: (jeder) Lauf
heatbox = Wettkampfbox (Aufenthaltsort der Läufer vor + nach dem Lauf)
impeding = Behinderung (Berührung mit dem Körper bzw. Körperteilen)
kicking-out = Treten, (unerlaubter) Zielschritt
off-tracking = Abschneiden, Abkürzen (Verlassen der Bahn)
packstyle = Pulkstil (Laufen in der Gruppe)
seeding points = Vorlaufpunkte (in allen Läufen außer Endlauf erzielte Punkte)
slowing-down = (absichtliches, unnötiges) Abbremsen
team-skating = Mannschaftslaufen (gegenseitiges Vorteilgeben)