Die Eiszeit ist vorbei
(Freie Presse / Thomas Treptow) Es bedurfte schon ein wenig Überredungskunst, um Klaus Ebert vom Treffen mit der “Freien Presse” zu überzeugen. Das liegt womöglich daran, dass Rentner niemals Zeit haben. In Wirklichkeit mag er es einfach nicht, sich vorzudrängen. “Ich habe mich immer hinter meine Sportler gestellt”, sagt der Chemnitzer, der Weltklasse-Eisschnellläufer wie Nico Ihle, Frank Dittrich, Roland Freier, Jens Boden oder Gunda Niemann-Stirnemann geformt, trainiert und zu Erfolgen geführt hat.
Mit 66 Jahren ist jedoch Schluss. Die Zeit auf dem Eis ist vorbei. Gestern lief sein Vertrag mit der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) aus. “Anfragen oder Rücksprachen gab es keine – und ich kann ja nicht von mir aus sagen, ich mache weiter”, meint Klaus Ebert. Ein bisschen Enttäuschung über das Desinteresse seitens des Verbandes klingt heraus. Doch da die Kommunikation etwa mit Robert Bartko, der nach dem schwachen Abschneiden der Kufenflitzer bei Olympia als DESG-Sportdirekor zurücktrat, zuletzt ohnehin gegen null tendierte, fällt das Aufhören leichter. Was er mit dem Freiraum anfängt, steht auf einem anderen Blatt. “Für echte Hobbys hatte ich keine Zeit. Aber ich werde versuchen, mich sportlich mehr um mich selbst zu kümmern”, verspricht Klaus Ebert, der mit Lebensgefährtin Catharina in Jahnsdorf wohnt.
Nico IhleSeinen Entschluss hat er kürzlich Nico und Denny Ihle noch einmal erklärt. Die Brüder hatten vielleicht gehofft, dass ihr langjähriger Coach weiter zur Stange hält. Aber dieser führt plausible Argumente ins Feld: “Erstens sind organisatorische Dinge zu regeln. Die Sportler wissen nach dem Vierjahreszyklus selbst noch nicht richtig, wie es weitergeht. Zweitens gibt es da ein paar gesundheitliche Probleme. Stundenlang auf dem Eis zu stehen, ist einfach nicht mehr förderlich”, erklärt Klaus Ebert und nennt einen weiteren Grund. “Ich glaube, dass ich in Sachen Inspiration und Wissen ein Maß erreicht habe, wo mir nicht mehr viel einfällt. Dass es so dahinplätschert, auch wenn wir relativ erfolgreich waren, will ich den Sportlern nicht antun.” Sagt es – und rät Nico Ihle zu einer neuen Herausforderung. “Das kann auch sein, dass er ein Jahr ins Ausland geht.”
Der 500-Meter-Vizeweltmeister ist das letzte Glied in einer langen Kette von Athleten, die Klaus Ebert betreut hat. Dazu gehören viel mehr Sportler als die eingangs erwähnten, aber es sind eben die erfolgreichsten und Eckpfeiler seiner Trainerkarriere. Seine Eiszeit begann bereits mit sechs Jahren als Eiskunstläufer. “Aber irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf das Herumgezappele”, erinnert sich Klaus Ebert lachend. Mit 17 Jahren wechselte er auf die langen Spargel. Mit eher mäßigem Erfolg. “Auf dem Eis konnte ich alles, aber mir fehlten die Kraft und die Kondition. Letzteres kannst du dir antrainieren, aber am anderen hat es gehapert.”
Da es leistungssportlich nicht recht voranging, absolvierte der junge Mann erst einmal eine Ausbildung zum Facharbeiter für elektronische Datenverarbeitung. Allerdings wurden damals junge Trainer für alle möglichen Sportarten gesucht. “Sie meinten, ich könnte das. Da habe mich zu einem Fernstudium breitschlagen lassen”, erzählt Klaus Ebert, der als Übungsleiter in der Altersklasse 14 begann. Im Juniorenbereich sammelte er weitere Erfahrungen, bis er in der Saison 1985/86 bei den Männern ankam. Schon 1988 erkämpfte Roland Freier bei den Olympischen Spielen in Calgary jeweils Platz acht über 5000 und 10.000 Meter. “Damit hatte ich nie gerechnet, und ich war hoch zufrieden. Auch wenn solche Ergebnisse damals in der DDR untergegangen sind”, sagt der Coach.
In Freiers Fußstapfen trat Frank Dittrich, der die Weltspitze auf den langen Kanten über viele Jahre mitbestimmte. “Ein toller Athlet. Leider Gottes hat es nie zu einem ganz großen Ergebnis gereicht”, stapelt Klaus Ebert ein wenig tief. Immerhin holte sein Schützling sechsmal WM-Bronze und stellte 19 deutsche Rekorde auf.
Jens BodenMit Dittrich verbindet sich indes auch einer der bittersten Momente. Bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City lief es im Vorfeld, als Dittrich seinen ersten Weltcupsieg feierte, wie ein Länderspiel. “Das Kampfziel für Frank war eine Medaille. Beim internationalen Einstieg von Jens Boden haben wir mit Platz zehn geliebäugelt”, erinnert sich Klaus Ebert. Es kam anders. Der Dresdner Boden holte sensationell Bronze über 10.000 Meter. Für den mitfavorisierten Dittrich langte es nur zu Rang zehn. “Das tat mir damals unheimlich weh”, sagt der Coach, der hin- und hergerissen war. Für den einen Athleten, der noch dazu die erste Olympiamedaille für Deutschland geholt hatte, freute er sich. Für den anderen, der schon 1994 in Lillehammer als Fünfter knapp an olympischem Edelmetall vorbeigerannt war, tat es ihm leid.
Überhaupt scheint Klaus Ebert mit Olympia ein wenig über Kreuz zu liegen. Genau erinnert er sich an einen Tag Mitte September 2001, als Gunda Niemann-Stirnemann, die seit 2000 bei ihm trainierte, bei einer Erwärmungsrunde dicke Schweißperlen auf der Stirn standen. Wenig später beichtete die 19-fache Weltmeisterin und dreimalige Olympiasiegerin ihre Schwangerschaft. “Das war ganz bitter. Du weißt, was du investiert hast, wie du geschuftet hast – und sie war saustark. Gunda wäre definitiv Olympiasiegerin geworden”, blickt Klaus Ebert zurück. “Du kannst nichts machen, aber es bricht dennoch eine Welt zusammen.” Mit Niemann-Stirnemann, die im Olympiajahr 2002 Tochter Victoria zu Welt brachte, feierte er trotzdem schöne Erfolge – natürlich auf den Langstrecken.
Seine “Umschulung” zum Sprinttrainer begann 2006, als die Ihle- Brüder zu ihm kamen. Auch der damalige Bundestrainer Bart Schouten wollte es im Zug der Zentralisierung der Athleten in Berlin so. “Eigentlich war ich sofort begeistert, etwas Neues zu erlernen”, meint der Vater einer Tochter. Er kniete sich rein, auch weil er von seinen Sportlern überzeugt war. Er beobachtete, sprach mit Kollegen, machte Fehler und korrigierte sie. “Im eigenen Saft darfst du nie schmoren. Du musst sagen: Du bist ein Frischling und willst lernen”, argumentiert Klaus Ebert. Exzellenten Rat holte er sich bei Thomas Schubert, dem Coach der mehrfachen Weltmeisterin Jenny Wolf. “Wir sind befreundet, da gab es keine Tabus. Und wir waren als Damen- beziehungsweise Herren-Bundestrainer keine Kontrahenten.”
“Insgesamt kann ich entspannt in den Ruhestand gehen”, sagt Klaus Ebert, der zum Abschied freilich auf eine Medaille von Nico Ihle bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang gehofft hatte. Das klappte nicht. Über 500 und 1000 Meter landete der mehrfache Deutsche Meister und Weltcupsieger jeweils auf Platz acht. Den Trainer wurmt das, keine Frage. Er sagt jedoch auch: “Nico hat nicht viel falsch gemacht, aber ein bisschen Pech bei der Auslosung gehabt. Bei den hohen Geschwindigkeiten bekommt er auf der zweiten Innenbahn Probleme.” Die Analyse klingt ruhig und sachlich, so wie in all den Jahren, in denen sich Klaus Ebert immer hinter seine Athleten gestellt hat. Und oft genug auch vor sie.
Mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung von Freie Presse / Thomas Treptow
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