Der Traum ist anders wirklich geworden
Wie Ex-Eisschnellläufer Dirk Schreiter doch noch zu Olympia kam
Den Siegern und den Enttäuschten hautnah ins Gesicht und damit “ein bisschen in die Seele schauen zu können”, sei ein einmaliges Erlebnis für ihn gewesen, sagt Dirk Schreiter. Der Berliner war einer der deutschen Teilnehmer der Winterspiele, die in keiner Startliste standen. Das galt für 20 000 freiwillige Helfer, inklusive der folgenden Paralympics, aus aller Welt. Sein Status als “Technical Volunteer” (Freiwilliger) hob ihn aber aus der Heerschar der normalen freiwilligen Helfer heraus. Während jene als Platzanweiser, Boten und für ähnliche Dienste eingesetzt waren, war er als Mitglied der “Competition Crew” (Wettkampfbrigade) behiflich, die “richtigen Leute” zur Siegerpräsentation oder zu den Dopingkontrollen zu bringen. “Ursprünglich war gedacht, dass ich als Starterassistent nach Fehlstarts die Fahne zu heben habe. Doch beim Weltcup im Dezember, dem Olympiatest, haben sich die Starter darauf verständigt, sich gegenseitig zu assistieren”, erzählte der 32jährige.
Seinerzeit schon hatte Schreiter Urlaub genommen. Ebenso für seinen Olympiaeinsatz vom 8. bis 26. Februar. Das Motorenwerk in Berlin-Marienfelde, wo der Maschinenbau-Ingenieur als Assistent des Produktionsleiters arbeitet, ist zwar ein erstklassiger Arbeitgeber, “aber die Zeit als olympischer Freiwilliger war natürlich Privatsache”. Den Job in Turin verdankte er nicht der üblichen Bewerbung über einen Zeitarbeitsvermittler. “Nein, ich habe mich bei Magnus Enfeldt gemeldet und ihm gesagt, dass ich unbedingt dabei sein möchte.” Der fünf Jahre ältere Schwede war damals von den Italienern für den Ablauf der Eisschnelllauf-Wettkämpfe angeheuert worden. Kennengelernt haben sich beide in der Berliner Trainingsgruppe von Achim Franke. Schreiter, der eine Junioren-WM und zwei Weltcup-Starts erlebte und bei deutschen Meisterschaften zweimal Bronze gewann, hatte 1998 die Olympiateilnahme als Mittelstreckler (1500 m) verfehlt und sich von der Aktivenkarriere verabschiedet.
“Ganz klar, ich habe Magnus meinen ersten olympischen Start zu verdanken”, sagte Schreiter. Er spricht Englisch, kennt sich als ehemaliger Aktiver in der Materie aus und “zudem hat Magnus Wert auf zuverlässige Mitarbeiter gelegt”. Dem guten Kontakt zu dem Schweden, Gatte der neunfachen Sprint-Weltmeisterin Monique Garbrecht-Enfeldt (sie half in Turin bei der Sponsorenbetreuung), hatte der Edel-Helfer es auch zu verdanken, dass er wohl als einer von wenigen Helfern im olympischen Dorf “ganz nah an den deutschen Häusern” wohnen durfte. Ansonsten war die Quartiersuche ebenfalls Privatsache der Helfer. Wir haben welche getroffen, die eine Anfahrt von 50 km (auch wegen der billigeren Quartiere) in Kauf nahmen. Dennoch blieb Olympia für Schreiter finanziell gesehen ein Verlustgeschäft. Denn außer der üblichen Bekleidung (Wärmeanzug, Schuhe, Pullover) und Essenmarken gab es keinen Cent für die olympischen Samariter. Etwas mehr als 500 Euro hat er in sieben Veranstaltungs-Tickets investiert (“Olympia ist etwas einmaliges”). Das teuerste kostete 140 und galt fürs Eishockey-Halbfinale. Die Gefühlslage der Stars wie der Nobodies aus nächster Nähe erlebt zu haben, “das waren unvergessliche Einblicke, die mich an eigene Momente als Sportler erinnern”. Der junge Berliner war mehr als froh, diese Chance der Olympiateilnahme bekommen zu haben und gesteht: “Damit hat sich für mich der Traum von Olympia erfüllt – wenn auch anders als ursprünglich angestrebt.”
Ernst Podeswa (Alle Rechte beim Autor, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors)