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Claudia Pechstein im Interview: "Ich habe nicht gedopt"

Author: Gastauthor Saturday, July 4th, 2009 No Commented Under: Eisschnelllauf
DESGphoto Claudia Pechstein DESGphoto / L. Hagen

(Morgenpost) Nur einen Tag, nachdem sie vom Eisschnelllauf-Weltverband ISU für zwei Jahre gesperrt wurde, geht die fünfmalige Olympiasiegerin Claudia Pechstein (37) im Gespräch mit Morgenpost Online in die Offensive. Sie bestreitet, jemals gedopt zu haben und kündigt eine Schadenersatzklage gegen die ISU an.

Morgenpost Online: Die Republik ist erschüttert: Sie als erfolgreichste Winter-Olympionikin waren gedopt.

Claudia Pechstein: Daran ist gar nichts wahr. Ich bin garantiert nicht gedopt gewesen.

Morgenpost Online: Ihr internationaler Verband ISU hat Sie aber für zwei Jahre gesperrt.

Pechstein: Ich werde dagegen Berufung einlegen und hoffe, dass das Weltschiedsgericht für Sport Cas als unabhängiges Gericht meinen Fall richtig beurteilt. Vor dem reinen ISU-Gericht standen meine Chancen wahrscheinlich von vornherein nicht so gut, weil die Gutachter dort alle zu meinen Gunsten ausgesagt haben, das Urteil dann aber trotzdem gegen mich fiel. Da müssen ISU-Mitglieder über eine Anklage entscheiden, die ISU-Mitglieder gefertigt haben. Die wird so gut wie nie zurückgewiesen.

Morgenpost Online: Warum sollte Ihr eigener Verband ausgerechnet Sie als Star willkürlich aus dem Verkehr ziehen wollen?

Pechstein: Ich verstehe das auch nicht. Es liegen von mir keine positiven Proben vor. Und aus dem Retikoluzytenwert allein, sagen die Wissenschaftler, lässt sich kein Doping zweifelsfrei herleiten, weil der erhöhte Wert auch andere Ursachen haben kann. Ich möchte selbst wissen, was es damit auf sich hat, denn der Wert ist seit 2000 hoch. Weil der Verband seine eigene Messgenauigkeit der frühen Tests mangelhaft fand, wurden mir erst Werte seit 2003 zum Vorwurf gemacht, ohne dass ich früher darüber informiert worden bin. Es gibt über die Jahre etwa ein knappes Dutzend Höchstwerte bei mir.

Morgenpost Online: Aber Sie beklagen selbst, sich auf einen „Kuhhandel“ mit der ISU eingelassen zu haben: Der Verband habe Ihnen angeboten, auf eine Schutzsperre wegen der auffälligen Werte zu verzichten, wenn Sie sich bei der WM krank abmeldeten. Die Funktionäre haben Sie so offensichtlich schützen und sich Zeit zu einer ausgiebigen Prüfung lassen wollen.

Pechstein: Sie haben am Anfang nie von einem positiven Dopingfall gesprochen. Weil der Wert ungewöhnlich hoch war, sollte es Nachkontrollen geben, sagte der Arzt Harm Kuipers, und wenn die in Ordnung seien, wäre alles okay. Nach den 3000 Metern am 7. Februar bin ich noch mal kontrolliert worden. Am Abend habe ich dann einen Anruf vom Teamleader bekommen, ich solle mich bei ihm melden. Er hat gesagt: Du kannst morgen nicht starten. Ich wusste überhaupt nicht, was los war. Er sagte, der eine Wert sei zu hoch. Die ISU hat sich in keinster Weise zu meinen Gunsten verhalten. Die ISU wusste selbst nicht, wie sie sich verhalten sollte. Obwohl Retikoluzytenwerte keine Schutzsperre rechtfertigen, hat der Verband damit gedroht. Die ISU hatte vorgeschlagen, ich sollte mich erkältet oder krank melden, um zu verhindern, dass der Vorgang in die Öffentlichkeit kommt. Weil ich mitten in der Nacht keinen juristischen Rat bekommen konnte, haben wir uns entschieden, darauf einzugehen.

Morgenpost Online: Wie erklären Sie Ihren Leistungsaufschwung vor der WM?

Pechstein: Mit ganz normalem, hartem Training. Dazu kam ein neuer Trainer, eine neue Trainingsgruppe. 2007 hatte ich ein Jahr der Experimente. Außerdem waren meine Zeiten nicht außergewöhnlich schneller als im Vorjahr, sondern meine Konkurrenten zum Glück langsamer.

Morgenpost Online: Wie lief Ihr Verfahren dann ab?

Pechstein: Da waren neun Juristen, drei Ankläger, drei Richter, Verbandsjuristen und mein Anwalt. Es wurden fünf Sachverständige gehört. Alles auf Englisch. Die alternativen Erklärungen für solche Abweichungen folgten erst, als meine Sachverständigen in das Verfahren Ende April Eingang finden konnten. Dann erst folgten zwei Gutachten des Verbandes. Und schließlich noch ein unabhängiger Sachverständiger, Max Gassmann aus der Schweiz. Der sagt, dass der zwingende Nachweis für Blutdoping so nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geführt werden kann. Weil zum Beispiel eine erbliche Blutkrankheit die Anomalie auch erklären kann oder eine leichte Hämolyse, 300 mögliche Blutanomalien und Infekte vor allen Dingen. Obwohl Gassmann der neutrale Zeuge war, hatte seine Einschätzung keinen Einfluss auf das Urteil.

Morgenpost Online: Dass die Höchstwerte immer genau zu den Wettkampf-Höhepunkten aufgetreten sind, spricht das nicht gegen eine Erbkrankheit?

Pechstein: Das war nicht der Fall. Die waren zum Teil auch im August hoch. Da lässt sich kein System erkennen. Das mussten die in der Klageschrift selbst korrigieren. Ich bin in dem Zeitraum 160 Mal getestet worden, die Hälfte davon außerhalb von Wettkämpfen und es hat nie einen positiven Test gegeben. Sie können gern alle meine eingefrorenen Proben mit den neuen Methoden nachkontrollieren. Oder mich zu jeder Zeit pinkeln lassen.

Morgenpost Online: Die indirekten Nachweismethoden wurden ja gerade zugelassen, weil vor allem Radfahrer wie Bernhard Kohl gezeigt haben, dass sie trotz negativer Tests gedopt waren.

Pechstein: Aber wo ist denn die Logistik hinter mir? Das Labor? Der Arzt? Der Helfer?

Morgenpost Online: Haben Sie mit Ihrem Trainer Joachim Franke über Doping gesprochen?

Pechstein: Natürlich. Immer, wenn mal wieder ein aktueller Höhepunkt da war. Aber wir hatten selbst mit Doping nichts zu tun.

Morgenpost Online: Haben Sie mit Franke über seine Arbeit in der DDR gesprochen: Dass er 1975 in der geheimen Forschungsgruppe „zusätzliche Leistungsreserven“ über Doping mitgearbeitet hat?

Pechstein: Darüber habe ich mit ihm nicht gesprochen. Mich interessiert nicht, was er in der Vergangenheit gemacht hat. Für mich ist er ein sehr guter Trainer, der mich von 1992 bis 2007 sehr gut betreut hat. Das hatte nichts mit Doping zu tun.

Morgenpost Online: Wie geht es weiter? Sie sind verurteilt und gesperrt.

Pechstein: Wir ziehen vor das Sportgericht Cas und hoffen, dort Recht zu bekommen. Wie lange das Verfahren dauert, weiß ich nicht.

Morgenpost Online: Haben Sie Klauseln in Ihren Werbeverträgen für Dopingvergehen?

Pechstein: Ja, sicher. Wenn ich einen Dopingverstoß begehe, sind meine Werbeverträge erledigt. Aber es geht ja nicht nur darum. Ich bin bei der Bundespolizei angestellt, ich bin Beamtin auf Lebenszeit. Dort musste ich natürlich unterschreiben, nicht gegen die Dopingregeln zu verstoßen. Schon deshalb wäre es absolut dumm von mir, Doping zu benutzen.

Morgenpost Online: Erwägen Sie Schadensersatzforderungen gegen den Weltverband?

Pechstein: Mit Sicherheit.

Morgenpost Online: Wie erklären Sie sich, dass der Verband das Risiko einer Klage von Ihnen eingeht? Da wird es ja dann um siebenstellige Beträge gehen.

Pechstein: In jedem Fall um eine riesige Summe, ja.

Morgenpost Online: Was fühlen Sie, wenn Sie hören, das sei ein Sieg der Dopingkontrolleure?

Pechstein: Das ist brutal für mich. Ich habe nicht gedopt. Für mich ist das alles unverständlich. Ich dachte, schon bei der Anhörung in Bern würde die Gerechtigkeit siegen.

Morgenpost Online: Und dass Anni Friesinger und andere deutsche Eisschnellläuferinnen fordern, es müsse jetzt knallhart durchgegriffen werden?

Pechstein: Was soll ich dazu sagen? Ich bin überzeugt davon, dass am Ende die Gerechtigkeit siegt. Dann werden wir sehen, ob weiterhin so etwas gesagt wird.

Morgenpost Online: Wie groß sehen Sie die Chancen, in Vancouver bei den Olympischen Spielen dabei zu sein?

Pechstein: Ich werde in Vancouver starten, daran habe ich keinen Zweifel. Nächste Woche legen wir Berufung ein. Wir beantragen ein beschleunigtes Verfahren, dann sollten wir bis November Klarheit haben. So wie jetzt für Olympia zu trainieren, wird eine Belastung.

Morgenpost Online: Was tut am meisten weh? Sich betrogen fühlen, oder dass die Bevölkerung Sie für eine Betrügerin hält?

Pechstein: Dass mich die ISU so verarscht. Ich habe so viele Briefe von Freunden bekommen, die zu mir stehen.

Morgenpost Online: Aber gelogen haben Sie.

Pechstein: Weil ich niemandem davon erzählt habe, was damals in Hamar abging, ja. Das tut mir auch leid, auch gegenüber meiner Familie. Selbst meiner Mutter habe ich gedroht: Wenn du irgendjemandem davon erzählst, ist die Freundschaft zwischen uns beendet.

Morgenpost Online: Mütter bringen ihren Kindern das Sprichwort bei: Wer einmal lügt, dem traut man nicht, auch wenn er oft die Wahrheit spricht.

Pechstein: Das mag sein. Aber wenn Ihnen die ISU die Pistole auf die Brust setzt, an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn Sie sich nicht krank melden, hätte jeder andere wohl auch so entschieden.

Morgenpost Online: Aber es gibt auch andere, die mit dem Finger auf Sie zeigen und Ihre Leistungen nun infrage stellen.

Pechstein: Das ist doch klar. Heutzutage muss man sich im Sport dafür fast entschuldigen, wenn man Leistung bringt. Bei einer so langen Karriere wie meiner, weiß ich nicht, warum ich mich entschuldigen soll.

Morgenpost Online: Haben Sie mit Ihrem Dienstherrn, der Polizei, schon gesprochen?

Pechstein: Ja. Mein Vorgesetzter sagte, dass er hinter mir steht. Ich weiß aber, dass ich erst mal mit einem Disziplinarverfahren rechnen muss. Das hat er mir gerade heute noch einmal angekündigt. Das ist der Dienstweg, der eingehalten werden muss.

Morgenpost Online: Also hängt am Cas-Urteil Ihre ganze Existenz. Haben Sie einen Plan B, falls Sie scheitern?

Pechstein: Nein, den habe ich nicht. Deswegen wäre es doch auch absolut bescheuert gewesen, Doping zu nehmen. Ich möchte meinen Beruf nach der Karriere natürlich fortsetzen. Jeder normale Mensch wäre froh, einen Beamtenstatus zu haben. So etwas setze ich doch nicht aufs Spiel.

von Von Stefan Frommann, Raik Hannemann und Jörg Winterfeldt

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