Beiträge zur Shorttrack-Sicherheitsdebatte
Kanadische Studie: Gute Polster bieten auch bei festen Banden Schutz
Matthias Kulik, ehemaliger Shorttracker und Nachwuchstrainer beim SLIC München, wies uns auf eine kanadische Studie hin, die die Wirksamkeit von verschiedenen Bandenpolstern untersucht hat.
In der Studie werden sogenannte ISU-Matten (die den Anforderungen der ISU genügen, 21 cm stark), Normalmatten (mit verbesserten Eigenschaften, 26 cm stark) sowie dicke Matten (mit den besten Eigenschaften, 60 cm stark) in verschiedenen Konstellationen geprüft und verglichen, ebenso der Wert von offen- und geschlossporigen Schaumstoffmatten (also solchen, aus deren Proren Luft entweichen kann bzw. nicht entweichen kann). In den Schlussfolgerungen der Studie heißt es:
- Je dicker die Matte(n), um so besser. Geschlossenporige Schaumstoffmatten führen zu Verletzungen.
- Eine Normalmatte schlägt eine ISU-Matte in jeglicher Beziehung.
- Doppelt Normalmatten schlagen doppelte ISU-Matten in der Aufprallabfederung, zumeist auch hinsichtlich Rückprallverhütung.
- Ob eine Kombination Normalmatte mit ISU-Matte gut oder schlecht ist, hängt davon ab, wie die Matten angebracht sind.
- Geschlossenporige Schaumstoffschichten sind nutzlos oder schädlich, wenn sie an der Vorder- oder Rückseite angebracht sind.
- Eine Zwischenschicht aus geschlossenporigem Schaumstoff könnte etwas nützen, hier sind noch weitere Untersuchungen nötig.
- Gute Aufprallabfederung und gute Rückprallverhütung in nur einer Matte ist möglich, aber nicht leicht realisierbar.
- Wenn Kosten, Gewicht und Beweglichkeit nicht das Wichtigste sein sollen, dann geht nichts über die dicken Matten.
Aber natürlich bietet auch die die sogenannte ISU-Matte, korrekt angebracht, wesentlichen Schutz vor Verletzungen. Auch die ISU-Matte (beschrieben im ISU-Kommuniqué 1019) ist auf der Grundlage von Forschungen enstanden. Das ist aber inzwischen acht Jahre her. Hier besteht sicherlich auf Seiten des Weltverbandes Handlungsbedarf.
ISU-Kommuniqué 1019 zu Anforderungen an Shorttrack-Matten vom März 1999 (in Englisch)
Dr. Volker Smasal: Sicherheit hat Vorrang, daher keine Schnellschüsse!
Von Dr. Volker Smasal
Diskussionen über Sicherheit im Sport, so auch im Eisschnelllauf und hier vor allem im Shorttrack werden immer wieder nach schweren Unfällen verstärkt geführt.
Im Shorttrack ist die Laufschiene wegen des ständigen Laufens enger Kurven gebogen. Es werden maximale Geschwindigkeiten von 50 km/h erreicht. Gerade die engen Kurven bei Schräglagen des Körpers zwischen 38 und 40 Grad, die Gefahr des Körperkontaktes bei der Anzahl der Läufer und nicht zuletzt die gebogenen und scharfen Kufen erhöhen die Gefahren für Stürze und Verletzungen.
Stürze und Kollisionen führen zu Prellungen vor allem an Schulter, Rücken, Becken und Schädel, seltener auch zu Frakturen vermehrt der oberen, aber auch der unteren Extremität und hier teilweise zu schweren Frakturen des Unterschenkels bzw. Sprunggelenkes wie im Falle des jungen Robert Seifert. Gestürzte Läufer versuchen in Sitzposition zu kommen, eine hohe Körperspannung aufzubauen und den Aufprall an der gepolsterten Bandenbegrenzung durch Körperdrehung mit Rücken und Schulter zu dämpfen. Des ßfteren kommt es dennoch durch hohe Aufprallgeschwindigkeit, ungünstigen Auftreffwinkel des Körpers und unzureichende muskuläre Sicherung zu Distorsionen vor allem der Halswirbelsäule. Trainingsstürze v. a. ohne die obligaten Schutzmatten an den Begrenzungsbanden führten in den letzten Jahren beim Shorttrack zu schweren Wirbelsäulenverletzungen auch mit Querschnittlähmung.
Bei Stürzen kommt es durch den Gegner oder dessen scharfe Schlittschuhkufen, das Eis oder die Banden zu Schürf -, Riss-, Schnitt- oder Platzwunden. Die im Shorttrack vorgeschriebene Schutzkleidung vermindert hier die Häufigkeit schwererer Verletzungen an exponierten Stellen. Kapsel-Band-Verletzungen der Kniegelenke und vor allem der Sprunggelenke entstehen durch Stürze über den Gegner oder Rutschen des Fußes unter die Bandenbegrenzung, wodurch es in der Folge durch Verdrehung des Körpers zur Rotationsbelastung auf Knie- und/oder Sprunggelenke kommt. Ähnliche Verletzungen geschehen an Hand, Ellenbogen und Schulter, wenn der Arm unter die Schutzmatten der Bande gerät .
Speziell im Shorttrack wurde die Sicherheitsausrüstung in den letzten Jahren enorm verbessert. Obligatorisch sind inzwischen Helm, sowie aus schnittfesten Materialien Nackenschutz, Handschuhe und Rennanzüge mit langen ßrmeln und Beinteilen, Schienbeinschonern und Knieschützern. Eine Brille zum Schutz der Augen wird vorgeschlagen. Die Schuhe sind aus harten Karbonschalen angefertigt, teilweise mit Lederüberzug, die Enden der Kufen müssen abgerundet sein, Klappschlittschuhe wie im Eisschnelllauf sind nicht erlaubt.
Die Forderung nach flexiblen Mattensystemen ist gerade im Shorttrack – ein Nachdenken für die 400m Bahn würde sich sicherlich auch lohnen – berechtigt. Vor einer Umsetzung sollte jedoch unbedingt über die Verletzungsmechanismen nachgedacht werden. Diese geben die Antwort auf die Ziele, die durch ein funktionelles Mattensystem erreicht werden sollen und müssen, um Frequenz und Schweregrad der Verletzungen zu verringern und die Sicherheit im Shorttrack zu erhöhen.
Bei der Umsetzung “flexibler Mattensysteme” muss bedacht werden, dass Flexibilität alleine nicht ausreichend ist. Es muss unbedingt ein “Punching – Effekt” vermieden werden. Ein Rückprall in Richtung Wettkampfgeschehen und damit die Gefahr einer Kollision mit weiteren Läufern wäre gegeben. Das flexible Mattensystem muss den/die Gestürzten so gut wie möglich “schlucken”, d. h. eine hohe Absorption muss erreicht werden.
Wichtig ist auch der Neigungswinkel des Mattensystems. Zum einen soll der Verunfallte nicht unter die Matten gedrückt werden – erhöhte Gefahr bei mehreren gestürzten Läufern -, zum anderen aber auch nicht darüber katapultiert werden.
Um Verdrehtraumen mit Hebelwirkung an Armen und Beinen zu vermeiden, darf keine Lücke zwischen Mattensystem und Eis vorhanden sein. Dies kann z. B. durch einen “übereisten” Materiallappen der Matte oder “versenkte” Matten geschehen – Matten unterhalb des Niveaus der Eisfläche.
Deshalb sollten nicht nur Ideen gesammelt und Rufe nach Geld für mehr Sicherheit im Shorttrack bzw. Eisschnelllauf laut werden. Die Konsequenz sollte eine Arbeitsgruppe – Betonung auf Arbeit – Sicherheit im Shorttrack bzw. Eisschnelllauf sein. Vielleicht könnte ein Forschungsprojekt sich nicht nur mit Mattensystemen, sondern auch mit entsprechenden Materialien auseinandersetzen. Es wäre dabei wohl selbstverständlich, alle bisherigen Erfahrungen, so auch das “Turiner Sicherheitskonzept” in die Arbeit einfließen zu lassen. Ob letztendlich ein Mattensystem mit oder möglichst ohne dahinter liegende feststehende harte Banden geschaffen wird, ist sicherlich von vielen auch lokal unterschiedlichen Umständen abhängig. Und Sicherheit ist, wie immer wieder richtig erwähnt, natürlich nicht zum Nulltarif zu haben, bei Vermeidung von “Schnellschüssen” aber vielleicht doch relativ günstig im Verhältnis zum Wert gesunder Sportler.
Zur Person: Dr. Volker Smasal (58) ist niedergelassener Sportorthopäde mit eigener Praxis in München (Orthopädie, Sportmedizin, Osteologie). Seit 1986 tätig für verschiedene Sportverbände als Mannschaftsarzt und Verbandsarzt. Von 1991 bis 2002 und von 2003 bis 2006 war er leitender Verbandsarzt der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft. Er ist Autor zahlreicher medizinischer Fachaufsätze, darunter zu Eisschnelllauf und Shorttrack, und war bei sechs Olympischen Winterspielen als Mediziner tätig.
Literatur:
Smasal V (1994): Muskuloskelettale Verletzungen und Überlastungsschäden bei Eisschnelläufern. Ursachen, Therapie und Prophylaxe. In: Prakt Sporttraumatol Sportmed. 10/S. 148-153
Smasal V (2001): Eisschnellauf. In: Clasing D, Siegfried I, eds. Sportärztliche Untersuchung und Beratung. 3. überarbeitete Aufl. Balingen: Spitta; S. 294-297
Smasal V, Zeilberger K. (2005): Eisschnelllauf. In: Praxiswissen Halte- und Bewegungsorgane (Hrsg. Grifka), Sportverletzungen – Sportschäden (Hrsg. Engelhardt e. a.) Thieme Verlag, Stuttgart
Smasal V (2006): Eisschnelllauf – Short Track. In: Sportverletzungen: Diagnose, Management und Begleitmaßnahmen (Hrsg. M. Engelhardt) Elsevier, Urban und Fischer