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Auf der Flucht nach vorn

Author: Redaktion Saturday, September 25th, 2004 No Commented Under: Eisschnelllauf

Dresdnerin Christa Luding gelingt Novum: Olympiamedaillen im Sommer wie Winter

Von Jochen Mayer Sächsische Zeitung Mittwoch, 14. Juli 2004

Das Rad steht schon lange auf dem Boden. Die Bahnmaschine taugt nicht für die Straße. Die Bremsen fehlen. Es ist ein historisches Rad. Auf ihm gewann Christa Luding 1988 Olympiasilber im erstmals bei Sommerspielen ausgetragenen Frauen-Radsprint. Der Dresdnerin gelang das Kunststück, im gleichen Jahr bei Olympischen Winter- wie Sommerspielen Medaillen zu gewinnen. So etwas hatte es auf der Welt noch nie gegeben. Nach Gold und Silber im Eissprint von Calgary startete die Olympia-Exotin in Seoul.

Bis dahin mussten Christa und Trainer-Ehemann Ernst Luding ungewöhnliche Hindernisse meistern. Radsport gehörte im Sommer als Abwechslung zum Training der Eisschnellläuferin. “Irgendwann wollten wir neue Wege gehen, sind bei DDR-Meisterschaften gestartet”, erzählt die 44-Jährige. “Die damaligen Bahnrad-Frauen trainierten praktisch unter Volkssport-Bedingungen. Sie empfanden es wohl als ungerecht, dass ich mich bei ihnen einmischte.” Ab 1980 kam jedes Jahr ein DDR-Radsprint-Titel zur Medaillensammlung hinzu. Daraus wuchs neuer Appetit. Doch an internationale Starts war nicht zu denken. Da passte eine nicht in die DDR-Sport-Struktur: “Der Eislaufverband hatte von den Radwettkämpfen nichts. Ich soll mir nicht solche Flausen in den Kopf setzen und zweigleisig starten, wurde gesagt. Damit war die Sache erledigt. Und der Radverband konnte mit mir erst recht nichts anfangen. Die Verbände saßen in einem Haus in Berlin und wollten sich nicht einigen.” Erst ein Gespräch mit DTSB-Präsident* Manfred Ewald brachte für 1986 die Entscheidung: “Er wusste nichts von meinen Problemen, gab nach einiger Zeit grünes Licht.”

Die Exotin mischte das Rad-Lager auf. Der erste WM-Auftritt in Colorado Springs (USA) brachte gleich das Weltmeistertrikot. “Mein Glück war, dass mich international niemand richtig kannte. Anfangs wurde ich nur belächelt”, erinnert sich Christa Luding. “Taktisch hatte ich natürlich nicht viel drauf. An Stehversuchen und solchen Spielchen habe ich mich nie versucht. So etwas beherrschte ich nicht. Ich bin meine Rennen meist von vorn gefahren. Damit ging ich jedem Stress unterwegs aus dem Weg.”

Der Stress mit den Funktionären blieb trotz des WM-Titels und WM-Silbers. Ein Start bei Sommerspielen war an eine Bedingung gebunden: Gold im Winter. Überraschend holte die Eissprinterin tatsächlich ihr zweites Olympiagold nach 1984 – aber nicht über 500 m. Da gewann sie Silber. Diese Medaille brachte neue Lockerheit. So überraschte Christa Luding im 1 000-m-Rennen alle.

Mit diesem Olympiasieg war der Weg frei nach Seoul, die Funktionärs-Bedingung erfüllt. Glatt verlief der aber nicht. Material-Querelen wurden durch Tauschhandel gelöst. Leipziger DHfK-Fahrer bekamen windschlüpfrige Eisschnelllauf-Anzüge. Dafür wechselte Radtechnik nach Dresden. Nicht gelöst wurde das Höhentraining. Die Radsportler bereiteten sich in Mexiko vor. Dieses Experiment wollten Ludings nicht wagen. Die Variante in der Schweiz, wo sich die Eislaufgarde auf die Saison präparierte, verweigerte der DTSB. Am Ende erfolgte die Seoul-Vorbereitung in Altenberg. “Vielleicht war das die Winzigkeit, die am Gold fehlte”, klagt Christa Luding.

Im ersten Finallauf in Seoul gewann die Dresdnerin, im zweiten Erika Salumäe aus Tallinn. “Im entscheidenden Rennen zog ich wohl zu früh den Spurt an”, rätselt die zweifache Mutter, die heute im Familien-Fuhrbetrieb mitarbeitet, noch immer. “Es fehlte ein Hauch an Gold. Schade. Irgendwie bin ich auf dieses Silber aber besonders stolz. Da ist mir wohl was Bleibendes gelungen.”

In Seoul öffnete sich den Ludings eine neue olympische Welt: “Winterspiele sind überschaubar, familiär, man kennt sich. Der Trubel im Sommer ist dagegen enorm. Ich hatte mein Leben nicht so viele Reporter um mich wie in Seoul.” Kein Wunder, denn allen Widerständen zum Trotz war Christa Luding ein olympisches Meisterstück gelungen.

* DTSB: Deutscher Turn- und Sportbund
Veröffentlichung auf desg.de mit freundlicher Genehmigung der Sächsischen Zeitung

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