Historie 3: Die verlorene Generation
In loser Folge wollen wir an Athleten erinnern, die sich um die Entwicklung unserer Sportart in Deutschland verdient gemacht haben.
Teil 3: Arthur Vollstedt – der älteste Deutsche Meister
Sport ist seit jeher ein Symbol für friedliches und faires Miteinander und leichthin redet man in sportlichen Wettkampf von Siegern und Besiegten, von Katastrophen und Enttäuschungen. Doch nichts im Sport ist so katastrophal, wie die politischen Auseinandersetzungen mit kriegerischen Mitteln. Der 1.Weltkrieg traf das deutsche Volk und natürlich auch den Sport bis ins Mark. Und die Deutschen hinterließen in ihren Nachbarländern nicht nur “verbrannte” Erde, sondern auch ein tiefes Gefühl des Misstrauens. Über 10 Millionen Tote, darunter auch viele hoffnungsvolle Athleten, waren das Erbe das Deutschland in Europa von 1914 bis 1918 hinterließ.
Einer der diesen Krieg physisch relativ unbeschadet überstand war der Hamburger Arthur Vollstedt . Der am 21.1.1892 in Altona geborene Athlet lief bereits als Kind auf Schlittschuhen auf den Hamburger Eisbahnen. Anfang Januar 1907 trat Arthur Vollstedt dem zu dieser Zeit stärksten deutschen Verein, dem Altonaer Schlittschuhläufer-Verein von 1893 bei. Unter Anleitung des damals besten deutschen Läufers Alfred Lauenburg entwickelte sich Arthur relativ schnell weiter und gab am 08.01.1908 sein Debüt über 1000 Meter auf der Bahn des Eispark Borgfelde . Vier Tage später überraschte er bei den Vereinsmeisterschaften auf der Kunsteisbahn an der Allee in Altona seine Vereinskollegen und konnte einige bekannte Teilnehmer bezwingen.
Auf Grund der schlechten Witterung konnte der Nachwuchsläufer erst in der nächsten Saison wieder an den Start gehen. Im Januar 1909 bestritt Arthur Vollstedt sechs Wettkämpfe, wobei er bei einem 3000 Meter Lauf auf der Anlage Vor dem Dammtor Hamburg-Rotherbaum (die heute als Tennisanlage bekannte Sportstätte war erst als reine Eisschnelllaufbahn und später aus kommerziellen Gründen im Sommer auch als Tennisanlage genutzt worden) überraschend gewinnen konnte.
Zehn Tage nach seinem 17.Geburtstag endete bei einem Juniorenwettkampf auf dem Halensee in Berlin vorerst die Karriere des Hamburgers. Niemand konnte am 31.01.1909 ahnen, dass Arthur Vollstedt erst knapp 13 Jahre später wieder einen Wettkampf bestreiten sollte.
In den Jahren 1910 und 1911 ließen die Witterungsbedingungen weder Training noch Wettkämpfe zu, um ins Gebirge nach Garmisch zu fahren, fehlte dem Gesellen das Geld. Ein Jahr später, musste sich Vollstedt ganz auf seine Ausbildung konzentrieren, zudem rief die Marine den 19-jährigen zu sich.
Nachdem die Heimatbahn durch die Gewerbeausstellung stark beschädigt und mit Ausbruch des ersten Weltkrieges durch die Heeresverwaltung beschlagnahmt wurde, war an Training in Hamburg ohnehin nicht zu denken. Vollstedt zog als Matrose auf einem U-Boot mit der deutschen Marine durch Europa und hatte wahrlich andere Sorgen als den Sport. Viele hoffnungsvolle Eisschnellläufer ließen im ersten Weltkrieg ihr Leben, überliefert ist z.B. der Tod von Hans Gessner , der 25 jährige Berliner Leutnant wurde mit seinem Flugzeug am 15.11.1915 über Belgien abgeschossen.
Für diejenigen Eisschnellläufer die den Krieg überlebten ging es in den ersten Jahren vor allem darum gegen Hunger, Krankheiten und Kälte anzukämpfen. Die erste deutsche Meisterschaft nach dem Krieg sah 1921 in Garmisch dann auch nur drei Teilnehmer.
Im Hamburg ging es im Sommer 1921 wieder voran, der beschlagnahmte Sportplatz wurde 1921 freigegeben und das Vereinsleben des ASV kam wieder in Gang. Auch Arthur Vollstedt, kehrte nach Altona zurück und begann langsam wieder mit dem Training.
Als sich am 21./22.01.1922 dann 11 Läufer auf dem Rießersee in Garmisch trafen um den deutschen Meister zu ermitteln, stand der 30te Geburtstag von Vollstedt unmittelbar bevor. Doch damit war er im Teilnehmerfeld einer der jüngeren Läufer. Mit Eugen H. Freytag aus München ging ein Athlet der die 40 überschritten hatte an den Start und belegte einen beachtlichen vierten Platz. Sämtliche Teilnehmer hatten bereits vor dem 1.Weltkrieg Wettkämpfe absolviert und wenn auch nicht alle Geburtsdaten überliefert sind, dürfte keiner der Läufer jünger als 27 gewesen sein. Arthur Vollstedt war nach dem kurzen Training noch nicht in der Lage mit den besten Läufern mitzuhalten, immerhin belegte er über 1500 Meter einen beachtlichen fünften Rang.
Auf Grund wirtschaftlicher Probleme war 1923 kein Training in Altona möglich, Vollstedt wich auf andere Bahnen aus und schaffte bei der Meisterschaft in Berlin erstmals den Sprung auf das Treppchen und sicherte sich den zweiten Platz.
Im Verein entwickelte sich mit dem jungen Hans Meyer auch ein starker Trainingspartner für Vollstedt heran. Dieser stellte am 17.02.1924 auf der Toureneisbahn Plötzensee in Berlin über 3000 Meter dann auch den ersten deutschen Rekord nach dem Krieg auf.
Bei den Deutschen Meisterschaften fehlte Meyer, Arthur Vollstedt konnte sich als Dritter abermals in der Spitze behaupten. Die Olympischen Spielen 1924 fanden jedoch noch ohne die deutschen Eisschnellläufer statt.
1925 war ein ganz besonderes Jahr für Arthur Vollstedt. Nach intensiven Training im schweizerischen Davos, konnte er sich enorm verbessern und so distanzierte er bei den Deutschen Meisterschaften am 11.02.1925 in Titisee die Konkurrenz um Längen. Im Alter von 33 Jahren gewann so Arthur Vollstedt seine erste deutsche Meisterschaft. International war der Abstand der Deutschen zur Weltelite inzwischen riesengroß. Das bekam Vollstedt bei der Weltmeisterschaft in St.Petersburg am 21./22.2.1925 zu spüren, wo er hoffnungslos hinterherlief. Er war damit überhaupt erst der zweite deutsche Läufer der sich 7 Jahre nach Kriegsende bei einem internationalen Titelkampf präsentierte.
Auch 1926 war Arthur Vollstedt der überragende deutsche Läufer, er gewann fast alle Rennen, musste nach einem Sturz über 500 Meter bei den Deutschen Meisterschaften aber mit einem fünften Platz zufrieden sein.
Zwei Wochen vor den Deutschen Meisterschaften hatte er in Titisee den Deutschen Rekord über 3000 Meter auf 5.43,0 verbessert. Es dauerte acht Jahre bis diese Marke durch den Berliner Hans Jülge verbessert werden konnte.
Im Jahr 1927 kehrte der inzwischen auch schon über 30 jährige Berliner Erhard Mayke noch mal für zwei Jahre in das Wettkampfgeschehen zurück, und erwies sich als härtester Konkurrent für Vollstedt.
1927 holte sich Mayke souverän den Titel, während der Hamburger den Wettkampf nicht beenden konnte. 1928 lieferten sich beide ein spannenden Zweikampf den Arthur Vollstedt für sich entschied und somit seinen zweiten Titel einfuhr.
Anschließend starteten beide auch bei der Weltmeisterschaft in Davos. Dieses Mal liefen die Deutschen schon besser, Mayke belegte Rang 19, Vollstedt Rang 20. Besser war noch der Wiener Fritz Jungblut, der die deutsche Staatsbürgerschaft hatte und einen guten 14.Platz im Feld der 30 Teilnehmer erkämpfte.
Mit 36 Jahren feierte Vollstedt seine Olympiapremiere. Nachdem 1924 noch keine deutsche Eisläufer starteten, waren in St. Moritz neben Vollstedt auch Mayke und Jungblut dabei.
Der Hamburger belegte die Ränge 23 und 28 über 1500 und 5000 Meter, aber das war nebensächlich, allein die Teilnahme war schon ein Riesenerlebnis.
1929 wurde Arthur Vollstedt abermals souverän Deutscher Meister. Ein Jahr später gab er seinen Meisterschaftsabschied und konnte seinen “Nachfolger” nochmals knapp in die Schranken weisen. Wenige Tage vor seinem 38. Geburtstag siegte der “Senior” bei den Deutschen Meisterschaften in Krummhübel (heute Karpacz) dank guter Leistungen auf den kurzen Strecken, vor dem damals 18jährigen Münchener Willy Sandner der bald die Deutschen Rekordlisten anführen sollte.
In den beiden nachfolgenden Jahren lief der Hamburger noch bei eingen nationalen Wettkämpfen und konnte auch noch einige Siege einfahren. An Meisterschaften nahm er aber nicht mehr teil. Seinen allerletzten Wettkampf bestritt er am 14.02.1932 auf dem Paddelsee. Genau dort befindet sich heute die AOL-Arena des HSV.
Obwohl bis zu seinem 40.Lebensjahr laufend hatte Vollstedt damit gerade einmal 13 Jahre Wettkampfsport betrieben. Er hätte sicherlich einer der erfolgreichsten deutschen Läufer werden können, immerhin stehen am Ende seine Karriere noch vier deutsche Meistertitel und zahlreiche Bahnrekorde (da die Bahnen nicht mehr bestehen werden die Rekorde auch nicht verbessert werden können) auf seiner Almanach.
Ab 1931 widmete sich Vollstedt dem Nachwuchs in Hamburg, der jedoch immer wieder mit zu schwachen Wintern zu kämpfen hatte und mehr und mehr den Anschluss gegenüber den Athleten aus Bayern und Berlin verlor. Ab 1933 nach Ende seiner aktiven Karriere war Arthur Vollstedt auch als Eisschnelllaufwart beim ASV tätig. Er legte sein Amt bereits 1935 aus Protest gegen die Veränderungen im Verband durch das Nazideutschland nieder. Es war das Jahr in dem in Hamburg mit der Zooeisbahn endlich die lang ersehnte Kunsteisbahn eröffnet wurde.
Nachdem ihm der erste Weltkrieg einen großen Teil seiner Karriere raubte, ging er durch die Machtübernahme Hitlers auch als Trainer und Funktionär für die Hamburger verloren.
Stattdessen zog es Vollstedt nach Köln. Dort war er maßgeblich am Aufbau des Kölner Eislaufclub beteiligt. Nach dem Krieg baute er ein starkes Team auf, dass in den ersten Jahren der Bundesrepublik das Eisschnelllaufen beherrschte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Am 15.11.1969 im Alter von 77 Jahren verstarb Arthur Vollstedt in Köln.
(c) Dirk Gundel
Teil 1: Julius Seyler
Teil 2: Alfred Lauenburg
Teil 4: Die Damen greifen ein
Teil 5: Helga Haase
Teil 6: Ein Sprintstern geht auf