Schnellste Leseratte der Welt
Zwischen Hörsaal und Eisbahn: Die zwei Welten der Jenny Wolf
Wer ist Deutschlands schnellste Eisschnellläuferin? Richtig: Unsere flotteste Frau auf der Eispiste heißt Jenny Wolf, ist 28 Jahre alt, Germanistikstudentin und Weltrekordlerin über 500 m. Schon im März rannte die flotte Berlinerin in Salt Lake City bei ihrem WM-Sieg über 500 m mit 37,04 Sekunden eine Zeit, von der die Konkurrenz nur träumt. Im November setzte die schnelle Jenny mit 37,02 s noch einen drauf. Nun hat sie sich vorgenommen, als erste Frau unter die 37-Sekundengrenze zu sprinten. „In dieser Saison wird daraus wahrscheinlich nichts mehr. Die Topbahnen in Salt Lake City und Calgary liegen hinter uns. Jetzt starten wir nur noch im Flachland. Dort sind solche Rekordzeiten nicht möglich“, nimmt die Weltrekordlerin an, die nun den Weltcup-Sieg über 500 m anpeilt und sich in der Chinesin Wang Beixing einer starken Rivalin erwehren muss.
Im Trainingsalltag dreht Jenny Wolf auf dem Eis im Berliner Sportforum ihre Runden. Es könnten Jubiläumsrunden sein, denn vor knapp 20 Jahren marschierte Mutter Wolf mit Jenny in die damals gerade neu erbaute Eishalle. Das Mädchen stellte sich geschickt an und fand Aufnahme an der Sportschule „Werner Seelenbinder“ in Berlin. Jenny war längst zum Eislauf-Teenie herangewachsen, als sie 1996 aus dem Leistungssport aussortiert werden sollte. Die Eissprinterin ging auf den ersten 100 Metern ab wie die Feuerwehr, im Ziel aber kam sie längst nicht immer an. Oft stürzte sie in der zweiten Kurve. Ihre Technik war für die hohe Geschwindigkeit nicht ausgereift genug. So schaltete sich ihr nun inzwischen langjähriger Trainer Thomas Schubert ein: „Ich spürte, bei ihr ist Sprinttalent vorhanden. Bis der Knoten endgültig platzte, dauerte es aber doch länger, als ich gedacht hatte.“
Heute freut sich Schubert über seinen langen Geduldsfaden. „Wenn eine Athletin über Talent verfügt und ausreichend Trainingsjahre mit entsprechendem Fleiß auf dem Buckel hat, kommt der Qualitätssprung meist zwangsläufig.“ Jenny Wolf genießt ihre Popularität. Früher ging sie Journalisten lieber aus dem Weg, in den vergangenen zwei, drei Jahren hat sie ihre Meinung geändert: „Die Menschen sollen von meiner Leistung erfahren.“
Das Leben als Sportlerin war für die Eissprinterin nie langweilig. „Durch mein Germanistik-Studium an der Humboldt-Universität lebte ich in zwei völlig verschiedenen Welten.“ Dementsprechend viel liest die junge Frau. Im vergangenen Herbst gab Jenny ihre Magisterarbeit ab. Thema: „Der Nationalsozialismus in der Kinder- und Jugendliteratur.“ Nach der Saison muss die Weltrekordlerin noch zwei Prüfungen hinter sich bringen, dann hat sie den Magister in der Tasche. Und danach? „Volle Kraft in Richtung Olympische Winterspiele 2010“, lacht Jenny.