Historie 1: Der erste deutsche Eisschnelllaufstar
In loser Folge wollen wir an Athleten erinnern, die sich um die Entwicklung unserer Sportart in Deutschland verdient gemacht haben.
Teil 1: Julius Seyler – der Wunderläufer und Maler
Als am 04.05.1873 Julius Seyler in einer bürgerlichen Münchener Familie das Licht der Welt erblickte, war zwar das Eislaufen in Deutschland äußerst populär der erste Wettkampf war aber noch elf Jahre entfernt.
Seylers Leidenschaften bildeten sich schon in der Kindheit heraus: Malen und Sport. Im Winter war Seyler auf den Spritzeisbahnen Münchens oder auf den Kleinhesseloher See bei seinem Lieblingssport, dem Eislaufen zu finden. Im Sommer war er als Ruderer und Segler auf den Seen in München und Umgebung unterwegs und fand immer wieder die Zeit Landschaftsmalerei zu betreiben.
Seine ersten nationalen Meriten errang Julius Seyler mit 17 Jahren. Bei den deutschen Meisterschaften auf dem Kleinhesseloher See holte er sich die Bronzemedaille. In den nächsten acht Jahren beherrschte der Münchener nicht nur die deutsche Eisschnelllaufszenerie, sondern war einer der weltbesten Läufer überhaupt.
Zwar erntete Seylers Laufstil so manches Schmunzeln, doch da die Gegner den Deutschen meist nur von hinten sahen, verging Ihnen das Lachen recht schnell. Seyler lief sowohl im Sprint wie auch auf den Langstrecken mit den Armen nach unten, um Schwung zu holen. In der damaligen Zeit wurden die Arme fast durch die gesamte Konkurrenz auf dem Rücken verschränkt. Nach und nach verbesserte er diesen Laufstil.
Später erntete sein Eislauf so manches Lob. So schrieb Alfred Lauenburg 1924: “Wenn man Seyler laufen sah, wusste man nie , ob er seine größte Geschwindigkeit entfaltete, so geräuschlos und leicht glitt er mit raumgreifenden Zügen, den Oberkörper gebeugt, weit pendelnd, ab und zu den einen Arm leicht hin- und herschwingend, dahin. Er hatte auch eine vollendete Kurventechnik, wie sie von keinem Läufer vorher oder später gezeigt worden ist.”
Obwohl Seyler 1892 mit dem Studium an der Münchener Akademie der Feinen Künste begann, fand er ausreichend Zeit an Wettkämpfen teilzunehmen. Bei den Europameisterschaften 1893 in Berlin konnte der damals 19-jährige erstmals den Sprung in die erweiterte Weltklasse vollziehen. 1895 in Budapest war er dann schon der zweitbeste Läufer, ehe er 1896 und 1897 in Hamburg und Amsterdam mit Siegen auf allen vier Strecken die Titel gewann.
Pech dagegen hatte der Münchener bei den Weltmeisterschaften. 1896 in St.Petersburg konnte er als Mitfavorit nach einem schweren Sturz nicht antreten. 1897 in Montreal war er einer der großen Titelanwärter. Die lange und zu kurzfristige Anreise (auf dem Seeweg) nach Kanada verhinderte eine Topleistung, immerhin war er der drittbeste Läufer der Titelkämpfe.
Da er ab 1898 für zwei Jahre in den Schweizer Bergen unweit Davos lebte, fanden die Weltmeisterschaften 1898 dann sozusagen auf seiner Heimatbahn statt. Ein Sieg über 500 Meter, sowie zwei Zweite und ein dritter Rang auf den anderen Strecken reichten nicht zum Titelgewinn, da der Norweger Peder ßstlund über sich hinaus wuchs. Dieser lief über 1500 Meter einen neuen Weltrekord und war auf drei Strecken nicht zu schlagen. In den nachfolgenden Jahren beherrschte der Norweger das internationale Geschehen.
Seyler konnte bei der WM fast an seine Bestleistungen anknüpfen die er in dieser Saison bereits erreicht hatte. Bei einem Trainingswettkampf lief er 46,2 über 500 Meter, eine Zeit die erst 37 Jahre später wieder von einem Deutschen erreicht wurde. Gleiches gilt für die 2.27,6 über 1500 Meter, erst 1935 ebenfalls in Davos konnte Willy Sandner diese Marke knacken. Während seine 5000 Meter Zeit (9.02,0) “schon” nach 36 Jahren unterboten wurde, hielt seine 10000 Meter (18.05,0) Zeit sogar 38 Jahre. Bis zum Tode Seylers gelang es nur einem Deutschen diese Marke zu Toppen.
Alle seine Bestzeiten waren 1898 Platz Zwei oder Drei der damaligen ewigen Weltbestenliste. In der späteren Geschichte des deutschen Eisschnelllaufens gelang es nur ganz wenigen Athleten von 500 bis 10000 Meter Weltklasse zu sein.
Im Gegensatz zu anderen deutschen Spitzenläufern der damaligen Zeit (u.a. Hermann Kleeberg, August und Hugo Underborg, Heinrich Ehrhorn) lief der Münchener niemals für Geld, obwohl gerade um die Jahrhundertwende die Profirennen in den Metropolen der Welt (New York, Paris, London, Brüssel) ein sehr einträgliches Geschäft waren.
Und noch etwas Einzigartiges gelang dem Münchener. Nachdem er 1899 (noch mal mit guten Leistungen bei EM und WM) die Schlittschuhe an den Nagel hing, um sich in Reisen an die französische Atlantikküste, Norwegen, Sylt oder Paris mehr und mehr seiner Malerei zu widmen, startete er 1906 bei den Deutschen Meisterschaften in München ein Comeback. Nach Siegen über 500 und 1500 Meter konnte er auf einen Start über 5000 Meter verzichten, da er nach der damaligen Regel bereits als Meister feststand. Genau 11 Jahre zuvor war er letztmals bei den Deutschen Meisterschaften angetreten und gewann auch da natürlich die Goldmedaille.
Zu dieser Zeit hatte sich Seyler bereits in seine Wohnung am Ammersee zurückgezogen wo er von 1903 bis 1912 lebte und malte. Immerhin konnte er bei Wettkämpfen im Rudern und Segeln noch immer so manchen Sieg einheimsen.
Nach seinem sensationellen Comeback war mit dem Wettkampflaufen aber endgültig Schluss. Am 26.Januar 1908 war er nochmal für einen Wettkampf in Berlin gemeldet, die Ergebnisse sind jedoch nicht überliefert, so daß sein dortiger Start auch nicht gewiss ist. Seyler hatte sich zu dieser Zeit bereits einen “Namen” in der Kunstwelt gemacht und suchte neue Herausforderungen.
Durch die Heirat mit der norwegischen Malerin Helga Boeckmann änderte sich das Leben Seylers ab 1910 dramatisch. Die in St.Paul (Minnesota) lebende Künstlerin brachte Seyler mit dem Eisenbahnmogul Hill zusammen. Dieser “entführte” den Deutschen nach Montana wo er die “Blackfeet” Indianer (Schwarzfuß) kennen und lieben lernte. Ein Großteil seiner Malerei beschäftigt sich nunmehr mit den Blackfeets und ihrer Geschichte (siehe Bild).
1914 wurde der Bayer (die Indianer nannten ihn Boss-Rips) zum legendären Sonnentanz eingeladen und an den Lagerfeuern der Indianer pries man mangels Kriegstaten, seine großartigen sportlichen Erfolge. Eine Ehre die wohl kaum einem zweiten Sportler zuteil wurde.
Genau zu dieser Zeit war es ein anderer Deutscher Maler, der zu deutschen Eisschnelllaufspitze gehörte, der 1971 verstorbene Erich Mercker studierte wie Seyler an der Münchener Akademie der Feinen Künste und trat sozusagen in die sportlichen Fußstapfen von Julius Seyler.
Vom Krieg in Deutschland überrascht, lebte das Ehepaar Seyler von 1914 bis 1921 in Balsam Lake, Wisconsin. Dorthin “flohen” Sie, weil in Minnesota ein starker Hass auf die Deutschen zu spüren war.
1925 nunmehr 52 Jahre alt, wurde Seyler Professor an der Akademie der Feinen Künste in München, dort wo seine Künstlerkarriere begann. Anfang der 40er Jahre begann Seyler langsam zu erblinden, noch viel schlimmer trafen ihn die Bombennächte in München, bei denen ein großer Teil seines Schaffens vernichtet wurde.
Seyler überlebte den Krieg, seinen großen Wunsch die Rückkehr nach Amerika konnte er krankheitsbedingt jedoch nicht mehr verwirklichen.
Am 24.11.1955 trug man in München nicht nur den berühmten Maler sondern auch den ersten deutschen Eisschnelllaufstar zu Grabe. Seine zu diesem Zeitpunkt 57 Jahre alten Bestzeiten gehörten auf allen Strecken immer noch zu den fünf Besten jemals in Deutschland erzielten Zeiten.
(c) Dirk Gundel
Teil 2: Alfred Lauenburg
Teil 3: Arthur Vollstedt
Teil 4: Die Damen greifen ein
Teil 5: Helga Haase
Teil 6: Ein Sprintstern geht auf